Full text: Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß

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Non bis in idem. 
der Cassationshof: „Es genügt zur Rechtfertigung einer neuen Anklage 
nicht, der incriminirten Handlung (acte), wenn diese ganz dieselbe 
bleibt, eine andere Qualification zu geben, zumal wenn die der ersten 
Anklage entlehnten Thatumstände für sich allein ausreichen, das von 
der Jury in Abrede gestellte Verbrechen zu begründen; im vorliegenden 
Falle ließ man die That so, wie sie die frühere Anklage hinstellte, so 
daß sie also das Verbrechen des Angriffs auf die Schamhaftigkeit ... 
begründete, und daher nicht nur die Competenz des Zuchtpolizeigerichtes 
überschritt, sondern auch durch den Ausspruch der Jury unwiderruflich 
beseitigt war." Man sollte dies für entscheidend halten. Nun aber 
kommt die Kehrseite: „Es ist aber nicht nothwendig, daß die den 
beiden Anschuldigungen zu Grunde liegenden Thatsachen in jeder Hin 
sicht (de tous points) verschieden seien; eine und dieselbe Scene kann 
zuerst Gegenstand einer Criminalanklage und einer Freisprechung sein 
und dann noch eine Verhandlung vor dem Zuchtpolizeigericht begründen, 
wenn die neue Anschuldigung, obgleich einzelne Umstände der ursprüng 
lichen Anklage wiederholend, neue Elemente hinzufügt und gerade diese 
das Vergehen charakterisiren (y ajoute des éléments nouveaux qui 
viennent charactériser le délit); in diesem Falle ist nicht mehr 
Identität im Sinne des Art. 360 vorhanden. Nun ist aber aner 
kannt und in dem angefochtenen Erkenntniß ausgesprochen, daß der 
Beschuldigte sich bei jenen Scenen wiederholt vor den drei Mädchen, 
die er zu schlüpfrigen Acten um sich vereinte, entblößt habe, und 
diese Thatsache begründet das im Art. 334 c. p. vorgesehene Ver 
gehen" u. s. w. 75) 
Sucht man den in diesen widerspruchsvollen 
Aeußerungen liegenden Kern zu fassen, so findet man freilich, daß hier 
gar nicht der Fall einer geänderten Qualification, sondern der einer 
idealen Concurrenz vorliegt: und daß nach der Ansicht des Cassations 
hofes, wo zwei Anklagen neben einander bestehen konnten, im Fall 
der Freisprechung allerdings noch eine übrig bleiben kann und nicht 
unter den Gesichtspunkt des même fait gebracht werden müsse. 
Berücksichtigt man, daß dergleichen Unterscheidungen auf die 
Theorie von der Zulässigkeit der Verfolgung auf Grund geänderter 
Qualification vielfachen Einfluß haben, so schmilzt ihre Bedeutung 
allerdings immer mehr zusammen. Uebersehen wir die Fälle, in 
welchen wirklich lediglich die Qualification geändert und hierauf in 
der Spruchpraxis die neue Anklage regelmäßig zugelassen wird, so 
bleiben eigentlich nur folgende übrig: 1. Freisprechung vom Todtschlag 
oder Versuch desselben, — neue Verfolgung wegen Tödtung oder Ver 
wundung aus Fahrlässigkeit; **) 2. Freisprechung vom Kindsmord, 
73) Borsari n. 437. 
76) Morin 1. c. n. 32. Rolland a. 360 f. 50—52. Auch das ist nicht 
immer unbestritten; Morin führt einen Fall an, wo beide Anklagen auf die That 
sache gegründet waren, daß das Kind erwürgt sei. Das ward für unzulässig 
erachtet, weil hierin eine mit der Annahme der Culpa nicht vereinbarliche Gewalt 
thätigkeit liege.
	        
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