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Princip der Strafverfolgung.
Bekanntlich aber nimmt der Staatsanwalt gegenüber den an ihn
gelangenden Anzeigen eine ganz andere Stellung ein. Ich halte mich
in dieser Beziehung an das unverfänglichste Zeugniß, an das des
Herrn O.=St. von Groß. Nach ihm hat der Staatsanwalt die An
zeige in folgenden Fällen zurückzulegen:
Wenn „eine Anzeige ihm von vornherein unglaubwürdig oder sie
durch Beweismittel nicht gehörig unterstützt" ist.
Schon hier zeigt sich eine wesentliche Differenz; denn wenn wir
auch annehmen, daß der Staatsanwalt die Anzeige als „durch Beweis
mittel nicht gehörig unterstützt" erst dann ansieht, wenn eine von ihm
hervorgerufene polizeiliche Erhebung ein negatives Resultat lieferte, so
bleibt doch noch übrig, daß er ohne eine solche Erhebung, ohne irgend
etwas zu thun, um sich von der Wahrheit der angezeigten Thatsachen
zu überzeugen, die Anzeige verwerfen kann, blos weil sie ihm persönlich
unglaubwürdig erscheint."
2. Soll der Staatsanwalt, indem er „über Einleitung eines Straf
processes selbstständig zu befinden" hat, „die Rücksicht auf Fest
haltung des richtigen Verhältnisses zwischen den aufzuwen
denden Mühen und Kosten und dem zu erzielenden Resultate
beobachten."
3. Hat er „über Art und Zeit seines Angriffs nach processualischen
Zweckmäßigkeitsrücksichten Beschluß zu fassen," d. h. er hat das
Recht, eine Anzeige, die ihm keineswegs unglaubwürdig erscheint,
so lange unberücksichtigt zu lassen, als ihm dies „die Taktik der
Proceßführung" räthlich erscheinen läßt."
Er soll „nur dann Anzeigen an die Gerichte gelangen lassen,
wenn er diese Anzeigen für erheblich erachtet,“ und Dr. von
Groß bezieht diesen Ausdruck nicht auf die größere oder geringere
Wahrscheinlichkeit eines Erfolges, sondern „auf die Bedeutung
der angezeigten Verbrechen im Verhältniß zur allgemeinen
Rechtsordnung," d. h. er soll eine Handlung, welche nach seiner
Ansicht ein Verbrechen (also im Sinne des Gesetzes ein Bruch
der öffentlichen Rechtsordnung) ist, unverfolgt lassen, weil er
*) Bemerkung des Herrn Dr. v. Groß. Es muß natürlich hier voraus
gesetzt werden, daß der Staatsanwalt im concreten Falle von vornherein guten
Grund hat, die Anzeige für unglaubhaft zu halten.
*) Bemerkung des Herrn Dr. v. Groß. Festzuhalten ist, daß es sich
nur um die Art der Proceßführung, nicht um die Disposition über ein Strafrecht
handeln soll. Beispielsweise wird kein Staatsanwalt auf den angeregten Ver
dacht einer Vergiftung eine kostspielige Leichenausgrabung mit Section und
chemischen Untersuchungen beantragen, wenn in Bezug auf den subjectiven That
bestand gar keine Indicien vorliegen, bezüglich in Aussicht stehen; oder wenn
z. B. die Vermuthung vorliegt, daß der Thater des indicirten Mordes inzwischen
verstorben sei.
*) Bemerkung des Herrn Dr. v. Groß. So ist z. B. nach einem
größeren Gelddiebstahl meist räthlich, nicht sofort gegen einen Verdächtigen, der
sich noch sicher glaubt, einzuschreiten, sondern einige Zeit abzuwarten, ob derselbe
sich nicht durch auffallende Geldauslagen compromittiren werde.