Full text: Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß

Feuerbach. 
wenn ihre Bedingung eintritt, auch zur Wahrheit werde. Der Straf 
vollzug ist also, wie man sieht, gewissermaßen nur ein zufälliges An 
hängsel des Systems, in der Regel überflüssig, nothwendig nur da, 
wo das System eben sich unausreichend gezeigt hat. Das Entscheidende 
ist die Drohung, und angedroht muß uns eben gerade jenes Uebel 
werden, welches am meisten geeignet ist, dem Antriebe zum Verbrechen 
entgegenzuwirken. Darin liegt also für den Gesetzgeber sowohl als für 
den Richter, welcher ein unbestimmtes Strafgesetz anzuwenden hat, der 
Anhaltspunkt für die Strafbestimmung. Je größer die Versuchung, 
die zu dem Verbrechen hinzieht, desto größer die Strafe, die auf das 
Verbrechen gesetzt werden, die dem Verbrechen folgen muß. 
Wie aber läßt sich nun zuletzt diese Bestrafung, zu der es ja doch 
immer wieder kommt, rechtfertigen? Feuerbach versucht dieses auf 
doppelte Weise und gibt damit zu gleicher Zeit deutlich genug zu er 
kennen, daß ihm selbst keiner dieser beiden Versuche für sich allein be 
friedigend erscheint. 
Der erste Versuch ist der: Jeder sei, so meint er, sicherlich berech 
ligt, sich zu vertheidigen, und wenn nun eine Drohung als das geeig 
nete Mittel dazu erscheine, so dürfe man sich dieses Mittels um so 
unbedenklicher bedienen, weil ja die Drohung selbst etwas an sich völlig 
Unschädliches, in die Freiheit eines Andern nichts Eingreifendes sei. 
Die Strafandrohung rechtfertige sich also auf diese Weise von selbst; 
der Strafvollzug aber sei nichts anderes als die Consequenz dieser 
Strafandrohung, und sowie diese gerechtfertigt sei, sei es auch jene. 
Ergänzt wird dann diese Art der Beweisführung durch die Bemerkung, 
daß ja in der Unternehmung dessen, was ausdrücklich mit Strafe be 
broht sei, die freiwillige Unterwerfung unter dieses Strafübel nicht zu 
dertennen sei. In dieser freiwilligen Unterwerfung des Bestraften 
unter die Strafe sei nun auch wieder die Rechtfertigung der nachfolgen 
den Bestrafung zu gewahren. 
In unseren Tagen ist es wohl nicht mehr nöthig, darauf hinzu 
weisen, wie gekünstelt diese ganze Theorie sei, und wie sie eben durch 
das Uebermaß der Feinheit, die aufgeboten werden muß, um etwas zu 
rechfertigen, was doch nur haltbar sein kann, wenn es auf die planste, 
deutlichste und natürlichste Weise sich rechtfertigen läßt, — gerichtet 
wird. Der eigentlich wunde Fleck des Systems ist die Voraussetzung, 
daß es in der That möglich sei, durch eine Strafandrohung dem An 
triebe zum Verbrechen mit Erfolg entgegenzutreten. Würde darauf und 
darauf allein die Rechtfertigung der Strafe beruhen, so läßt sich wohl 
taum verkennen, daß die Strafrechtspflege in zahllosen Fällen völlig 
gedanken= und zwecklos gehandhabt werde, weil anerkanntermaßen der 
einzige Zweck, um dessentwillen sie überhaupt wirksam ist, durch ihre 
Thatigkeit nicht zu erreichen ist; ja, jeder einzelne Act der Strafrechts 
pfiege wäre nach Feuerbach selbst nichts anderes als ein trauriger 
Geweis mehr für die Unwirksamkeit des Systems, auf welches doch diese 
Strafrechtspflege selbst gebaut ist. Welch trauriges Bild gewährt diese 
Lustlose und unermeßliche Thätigkeit einer großen Anzahl von Gerichten, 
Glaser, kleine Schriften. 2te Aufl.
	        
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