469
Versetzung in Anklagestand.
gangspunkt des Verfahrens verwendet werden. Wenn daher auch nicht
mehr eine förmliche Anklage nöthig war, um zur Einleitung eines
Processes zu bestimmen, so war doch bei der denunciatio und der
eigentlichen inquisitio große Vorsicht angerathen. Letztere konnte nur
dann eintreten, wenn ein verbreitetes Gerücht gegen eine Person sprach,
und es war nothwendig, das Vorhandensein dieses Gerüchtes zu con
statiren, ehe weiter verfahren wurde."') Da nur über die Thatsachen,
auf welche das Gerücht sich bezog, Inquisition eingeleitet werden konnte
und der Angeklagte das Vorhandensein des Gerüchtes bestreiten durfte,
war es nothwendig, eine dem Anklagelibell analoge Zusammenstellung
der Ergebnisse dieser allgemeinen, anerkanntermaßen dem eigentlichen
Proceß vorangehenden Untersuchung aufzusetzen. Wo, wie bei der spani
schen Inquisition, die Mitwirkung des Fiscalprocurators eintrat, wurde
es in diesem Stadium ihm anheimgestellt, auf Captur anzutragen,
welche übrigens der Richter auch ohne diesen Antrag verfügen konnte.
Jedoch sollte dieser Verfügung eine Berathung mit Sachverständigen
vorangehen: Habito peritorum consilio, quid facto opus sit
deliberat. 52
Während nun in dem von der Aufeinanderwirkung der römischen,
canonischen und germanischen Proceßformen bestimmten Gange der
Strafprocesse in den verschiedenen Ländern das eigentliche Verfahren
(bei dem Ueberwiegen der Inquisition die Specialinquisition genannt)
theils durch Gewohnheitsrecht und Gesetz, theils (wie namentlich in
Frankreich) durch die Mitwirkung eines öffentlichen Anklägers an ge
wisse feste Regeln, wenn auch nur lose, gebunden war, sah sich in der
Generaluntersuchung der Richter nur auf eigenes Ermessen gewiesen;
und es läßt sich daher leicht erklären, wie nach und nach, so viel nur
thunlich, der Kern der Sache in diese Voruntersuchung verlegt ward.
Dazu kam noch eine humane Rücksicht für den Angeklagten. Es war im
Laufe der Zeiten dahin gekommen, daß die Untersuchung nicht selten
für härter angesehen werden mußte, als das Urtheil, das im schlimmsten
Falle erfolgen konnte, und daß es daher, genau genommen, für den
Angeklagten räthlicher war, sich ohne eigentlichen Proceß verurtheilen
zu lassen, als in Folge eines ordentlichen Processes freigesprochen zu
werden. Dies ist wohl zwischen den Zeilen folgender Worte Böh
mers63) zu lesen: „Utilitas publica quidem inquisitiones commen
probatum.“ — Die Tortur war nicht Beweismittel, wie oft fälschlich behauptet
wurde, sondern einer der Proceßausgänge. Bekannte der Torquirte, so verfiel er
damit der Strafe; bekannte er nicht, so ward er darum nicht für unschuldig ge
halten. Übi autem decenter (!) quaestionibus et tormentis expositus,
noluerit detegere veritatem; amplius non vexetur, sed abire libere dimit
tatur. Nur wenn er es ausdrücklich verlangte, sollten ihm die Richter die Frei
ung in der gewöhnlichen, beschränkten Weise ertheilen.
*) c. 19. X. de accus.; Biener a. a. O. S. 49.
*2) Pegna, Comm. n. 16 (l. c. p. 452.. Madrider Instruction v. 1569. c. 3.
53) Observationes selectt. ad B. Carpzovii J. C. Pract. nov. rerum
Crim. Imp. Sax. (Francof. 1759.) Ad quaest. CVII. obs. I.