Full text: Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß

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Versetzung in Anklagestand. 
gangspunkt des Verfahrens verwendet werden. Wenn daher auch nicht 
mehr eine förmliche Anklage nöthig war, um zur Einleitung eines 
Processes zu bestimmen, so war doch bei der denunciatio und der 
eigentlichen inquisitio große Vorsicht angerathen. Letztere konnte nur 
dann eintreten, wenn ein verbreitetes Gerücht gegen eine Person sprach, 
und es war nothwendig, das Vorhandensein dieses Gerüchtes zu con 
statiren, ehe weiter verfahren wurde."') Da nur über die Thatsachen, 
auf welche das Gerücht sich bezog, Inquisition eingeleitet werden konnte 
und der Angeklagte das Vorhandensein des Gerüchtes bestreiten durfte, 
war es nothwendig, eine dem Anklagelibell analoge Zusammenstellung 
der Ergebnisse dieser allgemeinen, anerkanntermaßen dem eigentlichen 
Proceß vorangehenden Untersuchung aufzusetzen. Wo, wie bei der spani 
schen Inquisition, die Mitwirkung des Fiscalprocurators eintrat, wurde 
es in diesem Stadium ihm anheimgestellt, auf Captur anzutragen, 
welche übrigens der Richter auch ohne diesen Antrag verfügen konnte. 
Jedoch sollte dieser Verfügung eine Berathung mit Sachverständigen 
vorangehen: Habito peritorum consilio, quid facto opus sit 
deliberat. 52 
Während nun in dem von der Aufeinanderwirkung der römischen, 
canonischen und germanischen Proceßformen bestimmten Gange der 
Strafprocesse in den verschiedenen Ländern das eigentliche Verfahren 
(bei dem Ueberwiegen der Inquisition die Specialinquisition genannt) 
theils durch Gewohnheitsrecht und Gesetz, theils (wie namentlich in 
Frankreich) durch die Mitwirkung eines öffentlichen Anklägers an ge 
wisse feste Regeln, wenn auch nur lose, gebunden war, sah sich in der 
Generaluntersuchung der Richter nur auf eigenes Ermessen gewiesen; 
und es läßt sich daher leicht erklären, wie nach und nach, so viel nur 
thunlich, der Kern der Sache in diese Voruntersuchung verlegt ward. 
Dazu kam noch eine humane Rücksicht für den Angeklagten. Es war im 
Laufe der Zeiten dahin gekommen, daß die Untersuchung nicht selten 
für härter angesehen werden mußte, als das Urtheil, das im schlimmsten 
Falle erfolgen konnte, und daß es daher, genau genommen, für den 
Angeklagten räthlicher war, sich ohne eigentlichen Proceß verurtheilen 
zu lassen, als in Folge eines ordentlichen Processes freigesprochen zu 
werden. Dies ist wohl zwischen den Zeilen folgender Worte Böh 
mers63) zu lesen: „Utilitas publica quidem inquisitiones commen 
probatum.“ — Die Tortur war nicht Beweismittel, wie oft fälschlich behauptet 
wurde, sondern einer der Proceßausgänge. Bekannte der Torquirte, so verfiel er 
damit der Strafe; bekannte er nicht, so ward er darum nicht für unschuldig ge 
halten. Übi autem decenter (!) quaestionibus et tormentis expositus, 
noluerit detegere veritatem; amplius non vexetur, sed abire libere dimit 
tatur. Nur wenn er es ausdrücklich verlangte, sollten ihm die Richter die Frei 
ung in der gewöhnlichen, beschränkten Weise ertheilen. 
*) c. 19. X. de accus.; Biener a. a. O. S. 49. 
*2) Pegna, Comm. n. 16 (l. c. p. 452.. Madrider Instruction v. 1569. c. 3. 
53) Observationes selectt. ad B. Carpzovii J. C. Pract. nov. rerum 
Crim. Imp. Sax. (Francof. 1759.) Ad quaest. CVII. obs. I.
	        
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