Full text: Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß

421 
Vernehmung des Angeklagten und der Zeugen. 
gehen, wie z. B. Berenger, 33) der von einer guten Criminalgesetz 
gebung verlangt, daß die Voruntersuchung den Geschwornen unbekannt 
bleibe, und sie nur durch Zeugenaussagen die Beweise des Verbrechens 
und der Schuld des Urhebers erhalten. Aber Niemand wird mehr 
von Unmittelbarkeit, von Oeffentlichkeit der Hauptverhandlung sprechen, 
wenn selbst das Minimum, wie es Jagemann3') fordert: „Wieder 
vorführung eines lebendigen Gesammtbildes der That,“ in der öffent 
lichen Hauptverhandlung nicht zugestanden wird. Es wird wenigstens 
verlangt werden müssen, daß, wenn die Richter schon Beweismittel 
vom Hörensagen (und so muß man wohl auch das sorgfältigst abge 
faßte Verhörprotokoll nennen) hinnehmen müssen, ihnen kein Grund 
gegeben werde, etwas für erwiesen anzunehmen, ehe sich ihnen die 
Möglichkeit dargeboten, das Gewicht des dafür gebrachten Beweismittels 
zu prüfen. Wenn aber — wie dies so oft geschieht und geschehen 
muß — der Vorsitzende Thatsachen als bewiesen hinstellt und dem 
Angeklagten gegenüber behauptet, wenn er durch seine Fragen einzelne 
aus ihrem Zusammenhang gerissene Stellen der Acten zur Kenntniß 
seiner Collegen oder der Geschwornen bringt, ehe diesen auch nur eine 
Zeile eines Protokolles vorgelesen wurde; dann werden Richter und 
Geschworne Suggestionen und Verdächtigungen zugänglich, die möglicher 
weise eben so fern der Wahrheit liegen als der Ansicht des vielleicht 
mißverstandenen Präsidenten — in den sie mit Recht das größte Ver 
trauen setzen; es wird sich bei ihnen eine Ueberzeugung bilden, ehe 
eine einzige Thatsache erwiesen wurde. Auf diese Art bringt der Prä 
sident, „welcher im ersten Augenblick immer geneigt sein wird, den 
Protokollen des Untersuchungsrichters, nämlich der darin beurkundeten 
Aussage eines Zeugen oder Erklärung des Angeklagten Glauben beizu 
messen, weil er die Fähigkeit und Unparteilichkeit dieses Beamten unter 
stellt,"35) Bruchstücke der Protokolle in der Anordnung, die der Gang 
des Verhörs nöthig macht, und aus dem Gedächtniß zur Kenntniß der 
Urtheilenden — während selbst der abgeschaffte Inquisitionsproceß einen 
vollständigen, sorgsam gearbeiteten, schriftlichen Actenauszug verlangte. 
Die Schwierigkeit wird, wollte man auch mit Schlink annehmen, 
die Vernehmung in der Hauptverhandlung habe wirklich nur die früheren 
Verhöre des Angeklagten zur Grundlage, dadurch nicht gehoben, 
daß „der Inhalt dieser Verhöre in der Anklageschrift enthalten ist“  
man müßte denn der Anklageschrift Beweiskraft zuschreiben wollen. 
Möge man doch bedenken, daß die französischen Gesetze Richter und 
Geschworne auf das bestimmteste anweisen, nur auf ihre subjective 
Ueberzeugung, auf die Stimme ihres Gewissens zu horchen und sich 
ganz dem Eindruck hinzugeben, den die Verhandlungen auf sie machen. 
Wer kann behaupten, Portalis habe Recht, wenn er sagt:35) das 
33) a. a. O. S. 307. 
34) Gerichtssaal 1849, I. S. 126. 
*) Dr. Foelix, Ueber Mündlichkeit und Oeffentlichkeit 2c. Carlsruhe 1843, S.22. 
In der Staatsrathssitzung vom 16. Prairial XII. S. Locré T. XXIV. 
p. 35.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer