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Vernehmung des Angeklagten und der Zeugen.
gehen, wie z. B. Berenger, 33) der von einer guten Criminalgesetz
gebung verlangt, daß die Voruntersuchung den Geschwornen unbekannt
bleibe, und sie nur durch Zeugenaussagen die Beweise des Verbrechens
und der Schuld des Urhebers erhalten. Aber Niemand wird mehr
von Unmittelbarkeit, von Oeffentlichkeit der Hauptverhandlung sprechen,
wenn selbst das Minimum, wie es Jagemann3') fordert: „Wieder
vorführung eines lebendigen Gesammtbildes der That,“ in der öffent
lichen Hauptverhandlung nicht zugestanden wird. Es wird wenigstens
verlangt werden müssen, daß, wenn die Richter schon Beweismittel
vom Hörensagen (und so muß man wohl auch das sorgfältigst abge
faßte Verhörprotokoll nennen) hinnehmen müssen, ihnen kein Grund
gegeben werde, etwas für erwiesen anzunehmen, ehe sich ihnen die
Möglichkeit dargeboten, das Gewicht des dafür gebrachten Beweismittels
zu prüfen. Wenn aber — wie dies so oft geschieht und geschehen
muß — der Vorsitzende Thatsachen als bewiesen hinstellt und dem
Angeklagten gegenüber behauptet, wenn er durch seine Fragen einzelne
aus ihrem Zusammenhang gerissene Stellen der Acten zur Kenntniß
seiner Collegen oder der Geschwornen bringt, ehe diesen auch nur eine
Zeile eines Protokolles vorgelesen wurde; dann werden Richter und
Geschworne Suggestionen und Verdächtigungen zugänglich, die möglicher
weise eben so fern der Wahrheit liegen als der Ansicht des vielleicht
mißverstandenen Präsidenten — in den sie mit Recht das größte Ver
trauen setzen; es wird sich bei ihnen eine Ueberzeugung bilden, ehe
eine einzige Thatsache erwiesen wurde. Auf diese Art bringt der Prä
sident, „welcher im ersten Augenblick immer geneigt sein wird, den
Protokollen des Untersuchungsrichters, nämlich der darin beurkundeten
Aussage eines Zeugen oder Erklärung des Angeklagten Glauben beizu
messen, weil er die Fähigkeit und Unparteilichkeit dieses Beamten unter
stellt,"35) Bruchstücke der Protokolle in der Anordnung, die der Gang
des Verhörs nöthig macht, und aus dem Gedächtniß zur Kenntniß der
Urtheilenden — während selbst der abgeschaffte Inquisitionsproceß einen
vollständigen, sorgsam gearbeiteten, schriftlichen Actenauszug verlangte.
Die Schwierigkeit wird, wollte man auch mit Schlink annehmen,
die Vernehmung in der Hauptverhandlung habe wirklich nur die früheren
Verhöre des Angeklagten zur Grundlage, dadurch nicht gehoben,
daß „der Inhalt dieser Verhöre in der Anklageschrift enthalten ist“
man müßte denn der Anklageschrift Beweiskraft zuschreiben wollen.
Möge man doch bedenken, daß die französischen Gesetze Richter und
Geschworne auf das bestimmteste anweisen, nur auf ihre subjective
Ueberzeugung, auf die Stimme ihres Gewissens zu horchen und sich
ganz dem Eindruck hinzugeben, den die Verhandlungen auf sie machen.
Wer kann behaupten, Portalis habe Recht, wenn er sagt:35) das
33) a. a. O. S. 307.
34) Gerichtssaal 1849, I. S. 126.
*) Dr. Foelix, Ueber Mündlichkeit und Oeffentlichkeit 2c. Carlsruhe 1843, S.22.
In der Staatsrathssitzung vom 16. Prairial XII. S. Locré T. XXIV.
p. 35.