Full text: Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß

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Vernehmung des Angeklagten und der Zeugen. 
das nie Geahnte zeigte; es ist vielmehr, abgesehen davon, daß es bei 
einigen Nationen ununterbrochen, bei anderen wenigstens in früheren 
Jahrhunderten im Strafproceß galt, mit vollster Consequenz im Civil 
verfahren aller Länder durchgeführt. Die Frage, wie dasselbe im 
Strafproceß geltend gemacht werden solle, findet also ihre natürliche 
Lösung in der Untersuchung: in wiefern die Natur des Straf 
rechts eine Abweichung von den im Civilproceß geltenden 
Formen fordert? 
Der oft erörterte Unterschied besteht aber offenbar darin, daß 
im Civilproceß es sich um die Verletzung einzelner (subjectiver) 
Rechte handelt, während die Strafgesetzgebung Angriffen auf das 
objective) Recht, Bedrohungen der gesammten Rechtsordnung sich 
entgegenstellt; in ersterem also der Staat nur indirect, als Gewähr 
leister aller wohlerworbenen Rechte, im Strafproceß aber unmittel 
bar betheiligt ist; und daß 
2) im Civilproceß der Kläger solche Güter beansprucht, über die er 
selbst sowohl als der Angeklagte vollkommen frei verfügen kann, 
während im Strafproceß die in der Klage enthaltene Vertheidigung 
des öffentlichen Rechtszustandes eben so wenig freiwillig aufgegeben 
werden kann, als eine freiwillige Verzichtleistung auf Vertheidi 
gung des Lebens, der Ehre und der Freiheit, die die Anklage 
bedroht, eine rechtliche Wirkung haben könnte." 
Im Gegentheil 
wird der hohe Werth dieser unersetzlichen Güter, die äußerst ge 
drückte Lage desjenigen, dem sie streitig gemacht werden, die tiefe 
Erschütterung der Rechtsordnung, die jede Verurtheilung eines 
Unschuldigen herbeiführen müßte — als Gefährdung dieser Güter 
durch Institutionen, die vorzugsweise zu deren Schutz bestimmt 
sind*) 
besondere Vorkehrungen erfordern, die Vertheidigung 
des Angeklagten zu erleichtern. 
Folgt nun aus diesem Unterschiede „die Nothwendigkeit, einen 
Staatsbeamten mit Aufsuchung und Verfolgung des Verbrechens zu be 
auftragen, auch den am Proceß nicht unmittelbar Betheiligten zur Auf 
bringung von Beweismitteln größere Beschwerlichkeiten aufzuerlegen, 
und auf die Sammlung und Sicherung dieser Beweismittel mehr Sorg 
falt zu verwenden, als im Civilproceß nöthig; folgt daraus auch das 
Recht des Anklägers, sich durch Vermittlung des Gerichtes der Person 
des Angeklagten bis zur Endentscheidung zu versichern: so kann doch un 
möglich daraus gefolgert werden, die Stellung des Angeklagten müsse 
im Strafproceß eine nachtheiligere sein, als bei Civilstreitigkeiten; es 
muß ihm vielmehr nicht blos, wie bei letzteren, vollkommen freie Hand 
bei Sammlung der Beweismittel gelassen werden, sondern überdies der 
2) W. G. Puchta, der Inquisitionsproceß (Erlangen 1844) S. 11, 17. 
Sehr schön sagt in der Staatsrathssitzung vom 7. September 1808 Treil 
hard — was freilich er und seine Zuhörer oft vergaßen: L’erreur du magistrat 
terait toujours une vaste plaie a l’ ordre public, soit en frappant un 
innocent, soit en déchainant un coupable. Locré T. XXI. p. 57.
	        
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