357
Preßrecht.
schung über die wahre Lage der Dinge, und in Folge dessen zur
Unterlassung anderer durch dieselbe gebotener Maßregeln. Gerade
in Preßsachen wird dies überall da der Fall sein, wo es sich um
einen Gegenstand handelt, dessen Bedeutung nicht an ein be
stimmtes Land und an eine bestimmte Zeit geknüpft ist.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf die Preßstrafsachen ergibt
ein in mehrfacher Beziehung brauchbares Resultat.
Das Charakteristische der Preßdelicte besteht in der Hervorrufung
gewisser Gesinnungen und Ueberzeugungen. Die Gefahr, welche damit
verbunden ist, daß diese Gesinnungen oder Ueberzeugungen bei Anderen
Eingang finden, kann nun entweder darin bestehen, daß diese Personen
dadurch unmittelbar zu rechtswidrigen oder doch unsittlichen Handlun
gen bestimmt werden, oder darin, daß sie von der ihnen gesetzlich einge
räumten Freiheit einen mißliebigen (d. h. für nachtheilig erachteten)
Gebrauch machen; es kann aber auch geschehen, daß sich die Wirkung
der durch die Druckschrift herbeigeführten Aenderung der Ueberzeugung
oder Gesinnung gar nicht näher bestimmen läßt, sondern daß man
lediglich auf Muthmaßungen darüber, was in Folge dessen früher oder
später geschehen könnte, angewiesen ist. Im ersten Falle ist das Ver
bot gerechtfertigt; im dritten halte ich es für unzulässig; der zweite
bedarf noch einer näheren Erörterung, weil noch die anderen oben er
wähnten Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind.
Als Axiom muß vorausgesetzt werden: Der Staat kann sich in
keiner Weise als Herrn der Ueberzeugungen und Gewissen ansehen, sich
nicht den Beruf beimessen, über religiöse, politische, wirthschaftliche,
überhaupt über theoretische Wahrheiten zu entscheiden, seine Unter
thanen zur unbedingten Annahme einer solchen Entscheidung anzu
halten. So wichtig es sein oder scheinen mag, daß gewisse Lehrsätze
dieser Art allgemeine Anerkennung finden, so wichtig ist es auch, daß
diese Anerkennung keine von außen erzwungene, sondern eine auf inne
rer, aus freier Prüfung hervorgegangener Ueberzeugung beruhende sei.
Diese Anerkennung erzwingen, heißt ihr allen Werth und alle Bedeu
tung nehmen
In dem unbedingten Verbot eines Angriffs auf gewisse Meinun
gen liegt aber nicht blos eine Beschränkung der Rede=, sondern auch
der Denkfreiheit; denn es ist damit nicht blos dem Einen unter
sagt, einen Anderen von seiner Meinung abzubringen, sondern es ist
dem Letzteren auch indirect geboten, bei einer bestimmten Meinung zu
bleiben, was immer dagegen auch gesagt werden könnte. Dazu kommt
nun noch ein anderes Moment. Gewöhnlich steht die Bedeutung eines
theoretischen Satzes zu der aus dem Versuch, ihn zu verbreiten, erwach
senden Gefahr im umgekehrten Verhältniß. Je allgemeiner der Satz
ist, desto langsamer wird er, wenn überhaupt, Eingang finden, und
desto weniger wird sich erkennen lassen, in welcher Weise und zu wel
cher Zeit seine Annahme sich praktisch wirksam erweisen würde, desto
geringer ist namentlich die Gefahr, daß er auf ungesetzliche Weise ver
wirklicht werden könnte. Es sei gestattet, dies durch ein Beispiel zu