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Kleinere Beiträge zum materiellen Strafrecht.
Bedeutung der dem Beleidigten zur Last gelegten Handlungen, be
kannt war? — Damit freilich wird man diese Frage nicht für erledigt
halten, daß dem Angeklagten die Präsumtion der §§. 3 und 233 ent
gegensteht. Die in diesen beiden Paragcaphen aufgestellte praesumtio
juris et de jure ist eine der Handhabung der Rechtspflege unentbehr
liche, in einzelnen Fällen aber doch sehr hart fallende Fiction; es geht
also gewiß nicht an, diese Fiction auch noch auf Beziehungen auszu
dehnen, auf welche sie gar nicht berechnet ward. Es leuchtet aber ein,
daß der Irrthum, in welchem sich derjenige befindet, der einem Anderen
fälschlich eine strafbare Handlung zur Last legt, die er aber für erlaubt
hält, kein Rechts=, sondern ein Thatirrthum ist, während die an
geführten Paragraphe blos die Berusung auf den Rechtsirrthum
(d. h. den Vorwand des Angeklagten: er habe nicht gewußt, daß seine
That mit Strafe bedroht sei) ausschließen wollen. Ein anderes Be
denken ergibt sich jedoch daraus, daß das Gesetz es unbestimmt läßt,
ob die Uebertretung des §. 487 des St. G. eine rein dolose sei, oder
auch culpos begangen werden könne; ob also das Bewußtsein des
Angeklagten von der strafrechtlichen Qualification der angedichteten
Handlung ein wesentliches Erforderniß dieser Uebertretung ausmache?
(Vergl. die Bemerkungen S. 285 ff.)
Wie immer man sich indeß zu dieser Frage stellt, so geht doch so
viel aus dem Begriff und aus der Geschichte der Ehrenbeleidigung her
vor, daß sie ein entschieden doloses Element hat, daß sie in der Absicht
und also mit dem Bewußtsein begangen sein muß, daß auf die
Meinung, welche Andere von dem Beleidigten haben, einge
wirkt werde. Der Handelnde muß also die Absicht haben, den Be
leidigten in der Meinung eines Dritten herabzusetzen, er muß wissen,
daß seine Aeußerung diese Tendenz hat.**) — Es sind uns natürlich
die näheren Umstände des hier in Frage stehenden Falles nicht be
kannt; wenn jedoch, wie man Angesichts der oben erwähnten That
sachen vermuthen möchte, der Angeklagte bei seiner Mittheilung an
seine Braut nur die Absicht gehabt haben sollte, ihr einen Beweis des
Eifers, mit welchem er die Heiratsangelegenheit betreibe, zu geben;
so dürften gewichtige Bedenken gegen die Anwendbarkeit irgend eines
der §§. 487—492 auf diesen Fall sich erheben.
Dazu kommt, daß der Beamte nicht nur nicht genannt wurde,
sondern auch nicht durch nur auf ihn passende Kennzeichen designirt
worden zu sein scheint. Zum Wesen der Ehrenbeleidigung gehört aber
jedenfalls die Verletzung der Ehre einer beskimmten Person.“
quum enim
23) L. 3, §. 1. D. de injuriis et fam. lib. (47. 10,
injurja ex affectu facientis consistat. — §. 3 eod.: Itaque pati quis in
juriam etiamsi non sentiat potest, faccre nemo, nisi qui scit, se injuriam
facere, etiam si nesciat, cui faciat.
In dieser Beziehung dürfte es erlaubt sein, von der früher angeführten,
scheinbar das Gegentheil aussprechenden L. 3, §. 3, D. de injur. zu bemerken,
daß sie sich nicht auf convicia bezieht, L. 2, §. 2 cod. Ait Praetor: Qui ad
versus bonos mores convicium cui fecisse, cujusve opera factum esse