Full text: Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß

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Majestätsbeleidigung. 
auch der hohe Werth und die staatsmännische Weisheit dieses großen 
legislativen Actes —: es ist keine erfundene Verfassung, es ist nicht 
das Product einer souveränen Willkür, oder irgend einer Laune; dieses 
Gesetz ist das Erzeugniß der historischen Entwickelung, das Werk eines 
echt historischen Sinnes! Denn der historische Sinn bewährt sich 
nicht darin, daß man willkürlich die Brücke zur Zukunft abreißt, daß 
man willkürlich irgend eine Periode aus der Vergangenheit herausreißt 
und dann alles das übersieht, was jene Zeiten mit unseren Tagen ver 
bindet. Ich erkenne den historischen Sinn daran, daß man den Strom 
der Ereignisse in seinen großen Windungen beachtet, und aus den ver 
gangenen Zeiten, was noch lebenskräftig, noch gesund ist, — nur das, 
hinüber 
dieses aber auch Alles, ohne willkürliche Ausscheidung, 
rettet in die Zukunft. 
Gerade dies ist, wie ich meine, am 20. October nicht genügend 
berücksichtigt, am 26. Februar aber mit aller Strenge festgehalten 
worden. Was am 20. October geschehen war, hatte manches patrio 
tische Herz schmerzlich berührt; aber es war geschehen, und daß am 
26. Februar nicht willkürlich ein neues Ideal hingestellt, sondern in 
pietätvoller Schonung des kaum gewonnenen Rechtsbodens mancher 
Wunsch dem Bedürfniß geopfert wurde, auf diesem einmal gegebenen 
Boden weiter zu bauen — das ist's, was jenem Gesetz allein seinen 
Werth gibt. Man kann keinen anderen Maßstab daran legen, ohne 
ungerecht dagegen zu werden. Und nun soll es diesem Gesetz gelten, 
wenn das „Vaterland" gegen eine Theorie kämpft, nach welcher Ver 
fassungen auch Ausgeburten der Laune und Willkür sein können? 
Was der Angeklagte, Herr Dr. Keipp, im Allgemeinen von der 
Verfassung hält, ist hier vollkommen gleichgiltig. In diesen Artikeln 
hat er kein Urtheil gefällt, nur die Voraussetzungen bezeichnet, welche 
das Urtheil bedingen — nur den Maßstab, der angelegt werden soll. 
Und dieser Maßstab ist nicht blos richtig, sondern dem Gesetz vom 
26. Februar durchaus günstig. Man kann also nicht sagen, weil 
Dr. Keipp die „Donau=Zeitung“ angegriffen hat, weil hinter der 
„Donau=Zeitung“ der Minister steht, hinter den Ministern aber 
Se. Majestät der Kaiser, also habe er den Kaiser angegriffen. Es 
zeigt sich vielmehr, daß dasjenige, was Herr Dr. Keipp bekämpft, 
nicht die Verfassung, nicht ein anerkannter Regierungsgrundsatz ist, 
sondern eine falsche, wie ich glaube auch von der „Donau-Zeitung 
nicht aufgestellte Theorie. Eben darum kann das Scheingebilde, welches 
er als den Schluß einer gegen diese Theorie gerichteten argumentatio 
ad absurdum hinstellt, sich auf nichts beziehen, was in Oesterreich 
wirklich besteht. 
Mit diesem Nachweis ist der eine Theil meiner Aufgabe gelöst, 
und ich könnte, der vorgerückten Zeit Rechnung tragend, dem hohen 
Gerichtshofe es bald ersparen, mich noch länger anzuhören, wenn nicht 
die Anklage gerade wegen des Verbrechens der Majestätsbeleidigung 
erhoben wäre, und das Eigenthümliche dieses Verbrechens mich nöthigen 
würde, noch etwas länger bei Erörterung der Rechtsfrage zu verweilen.
	        
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