Ueber Aufgabe und Behandlungsweise
Die alte germanische Denkungsweise, welcher die Zunge des cau
sarum patronus eine zischende Schlange war, und welche der Reception
des römischen Rechtes viele Jahrhunderte später sich so beharrlich ent
gegenstellte, hatte sich auch durch den Sieg des letzteren nicht irre
machen lassen.
Die gründliche Umgestaltung aller europäischen Verhältnisse, welche
das 16. und 17. Jahrhundert herbeigeführt hatten, gaben ihr neue
bereitwillig ergriffene Waffen. Es schien
— und wahrlich nicht blos
dem großen Haufen, sondern weisen Männern, Leuchten ihres Jahr
hunderts — die Zeit gekommen, das Rechtsbewußtsein Aller an die
Stelle der Rechtswissenschaft treten zu lassen, mittelst der Presse, durch
allgemein bekannte Gesetze, die Orakelsprüche der Juristen entbehrlich
zu machen. Man muß wohl gestehen, daß von dem Versuch, aus
welchem bekanntlich gleich die erste umfassende Codification, die preußische,
hervorgegangen ist, einiger Erfolg erwartet werden durfte. Gelang
aber dieser Versuch — war es möglich, die Antwort auf alle Fragen,
welche das Leben stellen kann, schon voraus bestimmt und deutlich zu
geben und durch Gesetze zur Kenntniß Aller, besonders der Richter, zu
bringen; war es möglich, daß diese Gesetzgebung neben allen Verän
derungen, welche die Zeit herbeiführt, gleichen Schrittes einhergehe,
ja ihnen zuvorkomme; war es möglich, was einer der Vorfechter dieser
Neuerung verlangt, einen Zustand herzustellen, „wo eine buchstäbliche
Sammlung der Gesetze, die buchstäblich beobachtet werden müssen, dem
Richter nur die Obliegenheit läßt, die Handlungen der Bürger zu
prüfen und sie für gesetzmäßig oder gesetzwidrig zu erklären, wo jene
Norm des Rechts und Unrechts, welche die Handlungen des unwissenden
wie des philosophisch gebildeten Bürgers leiten soll, nicht mehr Gegen
stand einer Streitsache sein kann, sondern thatsächlich feststeht,
war
das möglich: so war es zu Ende mit der Wissenschaft des Strafrechts
und es trat die Fertigkeit, das Strafgesetzbuch des Landes zu hand
haben, an ihre Stelle. Besteht ein Gesetz, das diese Bestimmung hat,
so kann von einer Wissenschaft nur die Rede sein, wenn sie entweder
eine Namensverwechslung im vorerwähnten Sinne sich gefallen läßt,
oder jeden schwachen Augenblick des Gesetzgebers erspähend unter dem
Vorwand der Gesetzesauslegung sich da einschleicht, wo ihr in ihrer
unverkürzten Wirksamkeit der Eintritt geradezu verboten ist. Das
letztere wird wohl Niemand rechtlich nennen, weder das Eine noch
das Andere Jemand dem Ernst und der Würde der Wissenschaft an
gemessen finden.
Es ist also eine sehr ernste Frage, die wir uns heute zu stellen
haben, ob die österreichische Strafgesetzgebung der Wissenschaft die Stel
lung einräumen wollte, die sie in Anspruch nehmen muß, oder ob sie
es ihr zur Pflicht macht, sich zurückzuziehen?
Wenn ich diese Frage, die Frage nach der Existenz einer Wissen
schaft des österreichischen Strafrechts
einer Wissenschaft, die zur
Verehrung des Gesetzes, der vorzüglichsten der modernen Rechtsquellen
und des wichtigsten Gegenstandes ihrer Forschung, zu geborsamer