Bur Lehre von der Miturheberschaft.
(Allgemeine Gerichtszeitung für das Königreich Sachsen, 1865, S. 321 ff.)
Es ist bekannt genug, wie weit man noch davon entfernt sei, feste
und allgemein angenommene Gesichtspunkte für die Sonderung der ver
schiedenen Formen der Betheiligung Mehrerer an demselben Verbrechen
gewonnen zu haben. Immerhin sind in neuerer Zeit sehr wesentliche
Schritte zur Aufklärung wichtiger Vorfragen geschehen und als einen
der wichtigsten unter diesen Schritten glaube ich es bezeichnen zu dürfen,
daß dem Begriffe der Miturheberschaft größere Aufmerksamkeit als
früher zugewendet wird. Ich bin nämlich der Ansicht, daß durch unge
zwungene Entwicklung der im Begriff der Miturheberschaft liegenden
Momente die Abgrenzung der Beihilfe von der Thäterschaft wesentlich
erleichtert werden könnte, und daß andererseits gerade dadurch diese so
schwierige und controversenfruchtbare Aufgabe auf dasjenige beschränkt
würde, was gefordert werden muß, wenn die Strafrechtspflege sich
ebenso fern von ungerechter Gleichstellung wesentlich verschiedener Fälle
wie von unnatürlicher und darum dem Volke unfaßbarer und dem
moralischen Erfolge des Strafurtheils abträglicher Künstelei halten soll.
Vielfach mit diesem Gedankengange beschäftigt, dem ich erst kürzlich an
einem anderen Orte’) Ausdruck zu geben versuchte, mußte ich mich
durch einen Rechtsfall, der nach der freundlichen Mittheilung eines
verehrten Freundes kürzlich in der königlich sächsischen Spruchpraxis
zum Austrag zu bringen war, lebhaft angeregt fühlen; und ich kann
der Versuchung nicht widerstehen, hier einige Betrachtungen an diesen
Rechtsfall zu knüpfen.
Der Fall ist folgender: A. und B. sind Lehrlinge bei dem Kaufmann
A. holt täglich in Folge allgemeinen Auftrags und der für ihn
bei der Postbehörde durch seinen Prinzipal gegebenen Legitimation für
letzteren auf der Post die eingegangenen Briefe, auch Geldsendungen, ab
und übergibt sie sodann dem Comptoiristen. B. hat hiemit gar nichts
zu thun. A. macht B. den Vorschlag, einige Briefe zu unterschlagen
und das Geld für sich zu behalten; B. willigt ein. In Folge dessen
*) Ueber Thäterschaft und Beihilfe, oben S. 109 ff.