De iustitia et iure.
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sind, so lehrt es dennoch die Erfahrung, wie häusig man
auch noch heut zu Tage dagegen anzustossen pflegt, ja eine
Menge hin und wieder herrschender Irrthümer ergeben es
nur zu deutlich, daß man jene Grundsätze gerade in den
Streitigkeiten, welche sofort ihre Entscheidung daraus her
nehmen, fast gänzlich ausser Acht gelassen hat. Zu der
Menge von Unvorsichtigkeiten, welche in dieser Hinsicht
auch noch von den neuesten und angesehensten Rechtslehrern
begangen werden, zaͤhle ich besonders den Mißbrauch, den
man mit der fast allgemein angenommenen Regel, quod
tibi non nocet, alteri vero prodest, ad id poteris
compelli, insgemein zu machen pflegt. Ich entsinne mich
noch gar wohl, diese vermeintliche Rechtsregel oft in den
wichtigsten Rechtsfällen als Entscheidungsgrund gelesen zu
haben. Allein untersuchen wir den Grund derselben ge
nauer, so dürfte sie in den Gesetzen wohl schwerlich anzu
treffen seyn. Was sie wirklich enthalten, und woraus end
lich der erwähnte Satz gebildet worden, sind die Worte des
Röm. Juristen Paulus welcher lib. 49. ad Edict. sagt **):
Opinor, utilem actionem vel interdictum mihi com
petere adversus vicinum, si velim aggerem restituere
in agro eius, qui factus mihi quidem prodesse potest, ipsi
vero nihil nociturus est: haec aequitas suggerit, etsi
iure deficiamur. Allein man untersuche nur den Fall,
worauf sich diese Worte eigentlich beziehen, so wird man
leicht finden, daß jene Regel, so wie sie gewöͤhnlich lautet,
in gedachter Stelle wirklich gar nicht vorgetragen wird
Den besondern Fall des Gesetzes selbst ergeben die Anfangs
worte der gedachten Stelle ganz genau. Aggerem, qui
C 3
in
73) L. a. §. 5. D. de aqua etaquas pluviae. arcendae.