De iustitia et iure.
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die römischen Rechtsgelehrten äußerten oft ihre Mißbilli
gung über die Ungerechtigkeiten, welche unter dem Scheine
der Billigkeit begangen wurden. Denn da selbst die Mei
nungen von der Billigkeit so sehr verschieden, und ihre
Grundsätze nicht bestimmt sind**), wie leicht kann sich
der Richter bey deren Anwendung nicht irren? Sehr tref
fend sagt daher bey Entscheidung eines gewissen Rechtsfalles der
römische Jurist Paulus 3): esse hanc quaestionem de bono,
et aequo: in quo genere plerumque sub auctoritate iuris scien
tiae perniciose erratur. Welche Ungewißheit des Rechts
würde also nicht daraus entstehen, wenn der Richter bey
einer ganz deutlichen Vorschrift des Gesetzes nach seinem
eigenen Gefühl vom Recht oder Unrecht handeln, und dem
Gesetz darnach einen Sinn beylegen wollte? Ja wie leiche
würde Leidenschaft des Richters, oder Unwissenheit desselben
den Mantel der Billigkeit annehmen, und der Ungerechtig
keit und Partheylichkeit Thür und Thor geöffnet werden?
Mit Recht haben daher andere jene Meinung verworfen
und den Richter auf gehorsame Befolgung der Gesetze ein
geschränkt 38). Wenn nun aber doch die Gesetze selbst den
Rich
84) SCAEVOLA sagt z. B. in L. 14. pr. D. de div. tempor. prae
script. de accessionibus possessionum nihil in perpetuum, neque
generaliter definire possumus: consistunt enim in sola aequitate.
85) L. 91. §. 3. D. de verbor. obligat.
86) Carrachsrechtliche Erörterung der Frage: Ob in Teutsch
land eine Gerichtsobrigkeit unter dem Vorwande der Billigkeit
von den Gesetzen abwelchen könne? Nro. 44. der wöchent
lichen Hallischen Anzeigen vom Jahr 1764. Heur.
Chrisipli. BERTUCH Diss. de eo, quod circa aequitatem iniquum
est
Glücks Erläut. d. Pand. 1. Th.
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