Full text: Bitschnau, Otto: Christliche Standes-Unterweisungen

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Nach dem Tode der Eltern pachtete Isidor das Landgut seines bisherigen Herrn, 
heiratete eine arme, sittsame Jungfrau, deren frommen, häuslichen Sinn er kennen gelernt, 
und sie hielt mit ihm treu an der Lehre: „Bet' und arbeit', Gott hilft allezeit". Die 
jungen Eheleute fühlten sich überaus glücklich in ihrem Stande, namentlich weil sie 
mehr Freiheit hatten, den Drang ihres Gebetseifers zu befriedigen. Jeden Morgen gingen 
sie miteinander in die Stadt, wohnten einer oder mehreren hl. Messen bei, dann erst zur 
Arbeit, bei der sie einen auffallenden Ling hatten und einen frühzeitigen Feierabend 
machen konnten. 
Neid und [Mißgunst gegen diese Glücklichen stachelte einige Nachbarn, daß sie zum 
Herrn gingen und klagten: „Isidor vernachlässigt die Wirtschaft des Gutes, er ist arbeits¬ 
scheu, er kommt erst auf das Feld, wenn die Sonne schon hoch am Himmel steht, und 
geht schon wieder heim, bevor sie untergeht; sein Frommthun ist nur Heuchelei und sein 
Kirchenlaufen nur eine Beschönigung seiner Trägheit.“ Der Herr beschied Isidor und 
tadelte ihn scharf: „Du entsprichst dem dir geschenkten Zutrauen nicht, du leistest die 
erwartete Arbeit nicht, du schädigest mein Gut. Beten ist schon recht, aber dazu giebt es 
genug Sonn= und Feiertage; wenn du die Sache nicht anders zur Hand nimmst, 
so — 
merk's dir ein für allemal." Isidor erwiderte ruhig und bescheiden: „Bester 
Herr, es ist wahr, ich gehe mit meinem Weibe alle Tage in die Kirche; aber ich habe 
mit ihr die Arbeit nicht versäumt. Meine Eltern haben mir schon von Jugend auf eingeschärft: 
„Bet' und arbeit', Gott hilft allzeit," und an dieser Lehre halte ich fest, solange ich lebe. 
Zuerst will ich beten und dann arbeiten. Doch ich will Ihren Schaden durchaus nicht. 
Lassen Sie den Zustand des Gutes von verständigen Männern untersuchen, oder gedulden 
Sie noch bis zur Ernte. Fällt dieselbe geringer aus als bei den Nachbarn, so will ich 
den Abgang bei Kreuzer und Heller ersetzen. 
Diese freie, offene Sprache besänftigte in etwas den Herrn; indessen wollte er 
doch die Sache genauer untersuchen. Dem spät aus der Kirche mit dem Weibe heim¬ 
gehenden Isidor schlich er nach, besichtigte die Wege und Gräben und Zäune seines 
Gutes — fand alles in der Ordnung; er beschaute das Gras auf den Wiesen — 
es 
wuchs üppig; er ging zu den Obstbäumen — sie waren rein von Noos und wilden 
Schoßen; er schaute umher, ob und wo der Isidor arbeite, erblickte ihn auf einem ent¬ 
fernten Acker am Pfluge und — er sah auch zwei Jünglinge, den einen vor ihm, den 
andern hinter ihm, welche ihre mit weißen Ochsen bespannten Pflüge aufmerksam leiteten. 
Verwundert darüber machte er einen kurzen Amweg, um unvermerkt auf diesen Acker zu 
kommen; aber siehe, Isidor und sein Weib waren allein bei der Arbeit, die zwei Gehilfen 
fort. Freundlich grüßend fragte der Herr: „Isidor, wie geht's? Du bist, wie es scheint, 
wacker an der Arbeit; aber wo sind die zwei Helfer, welche vor einer kleinen Weile mit 
dir gepflügt haben?" Isidor antwortete: „Vor dem Angesichte Gottes, dem ich diene, 
— 
 
 
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Bibliothek des 
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