241
indem sie große Reichtümer aufhäufen, welche in ihrer toten Hand brach liegen und dem
öffentlichen Nutzen entzogen werden, indem sie ihre Kräfte und Talente vergraben, sich
dem fruchtbaren Familienleben entziehen, den Zuwachs der Bevölkerung vermindern u. s. w.!“
Solchen Weltweisen giebt hier im Namen aller Ordensleute ein Benediktiner aus dem Kloster
St. Gallen, der selige Tutilo, die richtige, leichtverständliche Antwort.
Cutilo, aus einem fürstlichen Geschlechte Deutschlands um das Jahr 840 ent¬
sprossen, machte großes Aufsehen unter seinen Zeitgenossen, obschon er den schwarzen
Habit des Benediktinerordens trug, und sein Name ist heute noch weithin berühmt, während
gar manche noch vor wenigen Jahren großsprecherische Staatsmänner und Politiker
schon vergessen sind. Cutilo war ein Fürst im besten Sinne des Wortes. Er war
ein Fürst an Ebenmaß seiner Glieder, ein Fürst an glänzenden Fähigkeiten des Geistes
und an Vorzügen des Herzens, ein Fürst an Adel seiner Gesinnung und an Feinheit
des Benehmens, ein Fürst an Reichtum des Wissens und an Gewandtheit in den Künsten,
ein Fürst in der Reinheit seiner Sitten und in der Inbrunst seiner Frömmigkeit, ein
Fürst in seiner Gottes= und Nächstenliebe, ein Fürst in der Demut und Selbstverleugnung.
Die vornehme Welt schmeichelte dem aufblühenden Jüngling und drängte ihn zur An¬
nahme hoher Ehrenämter, täglicher Huldigungen und zum Genusse ausgewählter Ver¬
gnügungen. Er aber bedankte sich höflich für dieses gefährliche Anerbieten mit der festen
Erklärung: „O Eitelkeit der Eitelkeiten und alles ist eitel, außer Gott, den Ewigen,
Allmächtigen lieben und ihm allein dienen", bat um die Aufnahme in das damals weit¬
hin berühmte Benediktiner=Kloster St. Gallen und betrat opferwillig den königlichen Weg
der Nachfolge Jesu Christi. Als Kaiser Karl der Dicke Kunde von dieser Standeswahl
des hoffnungsvollen Fürstensohnes erhielt, soll er in seinem Arger darüber den Ratgeber
verwünscht haben, welcher den Cutilo bethört und verführt habe, daß er seine seltenen
Calente und vornehmen Eigenschaften, welche ihn eines Königsthrones würdig gemacht
haben würden, unter dem Schmutze einer Mönchskutte vergrabe. Allein Cutilo lächelte
über dieses kaiserliche Zürnen und sagte: „Ich habe doch kein Unrecht begangen, ich
habe dem Kaiser gegeben, was des Kaisers ist: das Geld, die weltlichen Ehrenstellen,
die sinnlichen Lustbarkeiten und alles, was man ums Geld kaufen kann; ich will aber
auch gerecht sein gegen meinen höchsten Herrn und Gott, ich will Ihm geben, was Gottes
ist: mein Herz". Im Kloster erfreute sich Cutilo des seltenen Glückes, den heiligen
Narcellus, einen sehr gelehrten und liebreichen Ordenspriester, zum Professor in den
philosophischen und theologischen Wissenschaften zu haben. Dieser Lehrer besaß das
noch seltenere Geschick, seine Schüler nicht blos mit den Schätzen des Wissens, der um¬
fassenden Gelehrsamkeit zu bereichern, sondern auch zum eifrigen Verwerten der erworbenen
Schätze für die Ehre Gottes und für das Wohl der Mitmenschen zu begeistern. Unter
der Leitung dieses Heiligen machte Cutilo so ausgezeichnete Fortschritte, daß er durch
Bitschnau, Standesunterweisungen.
Digitalisierungsvorlage:
Max Planck institute for Hluman Developme