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sahen sich ganz verlassen und verwaist, Kummer und Trauer drückte ihre Herzen, die Zu¬
kunft stand dunkel und ratlos vor ihren Augen, das Heimweh nach Monte Cassino nagte
mit scharfem Zahne an ihrem Gemüte; nur Maurus bewahrte die volle Klarheit seines
Geistes und die feste Ruhe seines Herzens. Er redete zu seinen Gefährten milde, kräftige
Worte des Trostes und der Aufmunterung. Er belehrte sie, daß der Gehorsam, welcher
sie nach Mans geführt, durch die eingetretene Schwierigkeit an Wert und Verdienst nicht
nur nichts verliere, sondern sehr viel gewinne; er verhieß ihnen mit fester Zuversicht, daß
der höchstweise Vater im Himmel die Hindernisse rechtzeitig wegschaffen und zur Ausführung
des erhaltenen Auftrages helfen werde. So geschah es auch.
Die schützende Vorsehung Gottes sorgte väterlich für die von den Diözesanen in
Mans verstoßenen Missionäre. Florus, ein hochgestellter Hofherr und geschätzter Freund
des Königs Cheodebert, fand ein besonderes Wohlgefallen an dem Edelmute des Maurus
und seiner Gefährten, interessierte sich angelegentlich um den Plan und Zweck ihrer Reise,
schenkte ihnen auf seinen Besitzungen im Bistum Angers ein großes Landgut, half ihnen
mit freigebiger Hand das nach wenigen Jahren schon berühmte und sehr segensreich
wirkende Kloster Glanfeuil bauen und übergab ihnen seinen einzigen Sohn zur Erziehung;
ja die schöne Hausordnung im neuen Kloster, die weihevolle Feier des Gottesdienstes, die
zufriedene Genügsamkeit der Mönche und die brüderliche Arbeitsfreudigkeit derselben gefiel
ihm so gut, daß er selbst um die Aufnahme und um das Ordenskleid inständig bat. Der
König entließ sehr ungern den treuen Beamten und aufrichtigen Freund aus seinem Dienste
und erschien in eigener Person mit dem ganzen Hofstaate bei der Feier, als Florus im
rauhen Mönchskleide zum Altare Gottes schritt und mit kräftiger Stimme die hl. Gelübde
ablegte. Tief gerührt von all dem, was sein scharfes Auge bei diesem Anlaß beobachtete,
und klar erkennend den ungeheuren Unterschied zwischen weltlicher Herrlichkeit im Vergleiche
mit der gottgeweihten Frömmigkeit, kniete auch Cheodebert vor den hochwürdigen Maurus
hin und flehte inständig: „O wenn ich nur auch dein Sohn werden könnte! Schreibe
wenigstens auch meinen Namen in das Verzeichnis deiner Söhne, auf daß mir doch ein
Anteil an euern fürbittenden Gebeten zukomme!“ Dann beschenkte er die Brüderschaft
reichlich mit Ländereien und Einkünften.
Das heldenmütige Beispiel des Hofherrn Florus in seiner Weltentsagung und Nach¬
folge des gekreuzigten Jesus machte weit und breit ein gewaltiges Aufsehen, der Name
„Maurus" wurde in allen Teilen des Landes der gefeiertste und die neue Stiftung des¬
selben von Jahr zu Jahr mehr geschätzt und bewundert. Die Söhne der besten Familien
erhielten von Gott die Berufsgnade, daß sie Vater und Nutter, Brüder und Schwestern,
die Güter und Sorgen der Erde verließen und zum Abte Maurus eilten, um unter seiner
väterlichen Leitung dem armen Jesus nachzufolgen, von Ihm das Geopferte hundertfach
zurückzuerhalten und den Besitz des ewigen Lebens im Himmel sich sicher zu stellen. Das
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