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Bezwingung der unordentlichen Eigenliebe ist der christliche Gehorsam, welcher von den
erleuchteten Geistes=Männern die Nutter aller Tugenden mit Recht genannt wird.
Der Kern und Stern des Gehorsams, den die gute Erziehung dem jungen Christen zum
sicheren Führer auf den Weg seiner Pflicht und Bestimmung mitgiebt, ist der feste, fröh¬
liche Glaube an die Fundamental=Wahrheit:
„Nein, nichts geschieht von ungefähr,
Gar alles kommt von oben her;
Denn was Gott will und was Gott thut,
Ist mir zum Heil und ewig gut.
Dieser werkthätige Glaube, der ernste Wille und das beharrliche Streben, nur
Gott zu gehorchen, hat einen unsterblichen Kranz des Glückes und Ruhmes um das Haupt
des hl. Maurus gewunden, der von der Mit= und Nachwelt als ihr großer Wohlthäter
geehrt wird.
Sein Vater Eutychius, der in Rom die hohe Amtswürde eines Senators ehren¬
voll begleitete, übergab im Jahre 522 den zwölfjährigen Sohn dem berühmten Ordensstifter
Benedikt auf Monte Cassino zur religiösen Erziehung und wissenschaftlichen Ausbildung.
Der kundigen Hand des gotterleuchteten Lehrmeisters gelang es vortrefflich, die
Wurzel alles Übels und Verderbens, den selbstsüchtigen Eigenwillen und den ruhelosen
Flattersinn aus dem Herzen des lebhaften und talentvollen Schülers herauszureißen und
in dasselbe die Tugenden der Selbstverleugnung, des Gebetseifers, des willigen Gehorsams
und des jugendlichen Ernstes hineinzupflanzen. Nach wenigen Jahren schon war Naurus
das treue Ebenbild seines geistlichen Vaters. In strenger Sucht überwachte er die Sinne
und Bewegungen seines Leibes, wie die Triebe und Neigungen seiner Seele; Speise und
Trank genoß er sparsam in dem Naße, daß er das Leben und die Gesundheit pflicht¬
gemäß erhielt; aber keinen Tag lebte er, nur an Speise und Trank sich zu ergötzen. Mit
der kostbaren Zeit haushaltete er sehr sorgsam und gönnte von ihr dem Schlafe nur die
notwendigsten Stunden. Den der leichtsinnigen Jugend lästigen Gehorsam im Stillschweigen
leistete er mit tadelloser Pünktlichkeit und öffnete mit vorsichtiger Besonnenheit seinen Mund
erst dann, wenn die Pflicht und die Liebe dies gebot. Die Arbeit, das Gebet und das
Lesen der hl. Schriften waren die Freude seines Lebens und die kluggewählten Mittel zur
Erreichung seines Zieles.
An einem heißen Sommertage schickte Benedikt den Knaben Placidus, den sehr
braven, gleichgesinnten Mitschüler des Maurus, an den nahegelegenen See, um Wasser zu
holen. Jener beeilte sich, den erhaltenen Auftrag zu vollziehen, fand das sonnenwarme
Wasser am Ufer gar angenehm und wagte sich wenige Schritte in das kühle Naß hinein;
Bitschnau, Standesunterweisungen.
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Digitalisierungsvorlage:
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
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