Full text: Drobisch, Moritz Wilhelm: Empirische Psychologie nach naturwissenschaftlicher Methode

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nur eine relative, in unbegrenzter Progression vermehibare Frei¬ 
heit für zulässig hält! — In diesen und allen ähnlichen Fällen 
nun muss die Psychologie entweder Partei nehmen, sich lur 
eine dieser Ansichten entscheiden, oder der Psycholog muss, 
und zwar nicht als solcher, sondern als Logiker, Metaphysi¬ 
ker, Moralphilosoph, ehe er an der Lösung eines Problems sich 
versucht, dasselbe auf eine andre ihm eigenthümliche Weise 
stellen, indem er die bisherigen Ansichten bestreitet und durch 
haltbarere zu ersetzen sucht. Jedenfalls also wird in diesen 
höheren Regionen die Psychologie von der systematischen Phi¬ 
losophie abhängig, und dieses Verhältniss ist nicht etwa als eine 
zu überwindende Unvollkommenheit des derzeitigen Standpunkts 
der Wissenschaft anzusehen, sondern für alle Zeiten in der 
Natur der Sache gegründet. Denn wenn auch eine Zeit zu 
erwarten steht, in der die Hauptprobleme der reinen Philosophie 
zum Abschluss gekommen seyn werden, so kann es doch nie 
dahin kommen, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Re¬ 
flexion zu Thatsachen des gemeinen, d. i. natürlichen Bewusst¬ 
seyns werden. Nie wird mehr geschehen können, als dass sich 
das Individuum dieselben zwar auf kürzerem und geebneterem 
Wege, doch aber immer wieder nur durch eignes Thun, näm¬ 
lich durch Reflexion aneignet. Wenn es demnach eine völlig 
unbegründete Hoffnung ist, von der Zukunft eine Psychologie 
zu erwarten, die, ohne unvollständig zu seyn, blos auf die That¬ 
sachen des gemeinen Bewusstseyns gestellt, sich aller Streitig¬ 
keiten der Philosophie überheben könnte, so ist es doch ein 
noch weit unhaltbarerer und wahrhaft verkehrter Gedanke, wenn 
sich der Empirismus und die an ihn streifende Denkweise ein¬ 
bildet, durch Psychologie, und zwar nicht durch psychologische 
Theorie, sondern durch schlichte Beobachtung, eine Verbesse¬ 
rung der Philosophie bewirken zu können. Es sollte doch nur 
zu bald einleuchten, dass der Gebrauch, den die Wissenschaf¬ 
ten nach bestimmten Absichten und Zwecken vom Denken 
machen, mit der Beobachtung dieses Denkens durchaus nicht 
einerlei, dass das wissenschaftliche Denken nicht ein müssiges 
ax-Planck-Institut für Bildungsfors
	        
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