Full text: Drobisch, Moritz Wilhelm: Empirische Psychologie nach naturwissenschaftlicher Methode

Max-Planck-Institut für 
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den, fauligen Wassergraben hat, weil er darin allerlei interes¬ 
sante mikroskopische Pflanzen und Thiere wittert, oder ein 
Änderer, der die schauderhaften Metamorphosen der Verwesung 
des menschlichen Leichnams mit eben so viel Interesse und 
Ausdauer verfolgt, wie die Entwickelung des Embryo, weil ihm 
jenes in theoretischer und praktischer (gerichtärztlicher) Hinsicht 
eben so wichtig erscheint wie dieses. — In allen diesen Fällen ha¬ 
ben wir also Contraste und befinden uns in einem gespannten Zu¬ 
stand, indem einerseits das Object, an dessen Wahrnehmung 
Gefühle haften, begehrt, andrerseits verabscheut wird. Von 
ähnlicher Wirkung ist auch der Contrast in der Kunst. Er 
ist schneidend und daher wehethuend, aber er ist ein Durch¬ 
und Uebergangspunkt und hebt daher nur um so mehr das 
nachfolgende Lustgefühl; das Harmonische in der aufgelösten 
Dissonanz thut doppelt wohl, als ästhetisches consonirendes 
Verhältniss und als psychischer Effect. Auf diese Contraste 
speculirt nun ganz besonders unsre neuere Kunst, in der neu¬ 
sten Zeit bis zum Uebermaass der Ausartung. Es ist dies 
das beliebte Pikante, das unserm Kunstgeschmack eben so 
unentbehrlich geworden ist, wie unserm physischen Geschmack 
die indischen Gewürze. Eins wie das Andere giebt seinen 
Beitrag zur Nervenschwäche der Zeit, und für die Ueberrei¬ 
zung, die von Beiden ausgeht, giebt es nur Hülfe in einer 
strengen leiblichen und geistigen Diät und, wenn das Uebel 
gross geworden ist, in einer physischen und psychischen 
Dass es endlich auch eine 
Hunger- oder Wassercur. — 
Steigerung giebt, die durch Mischung der Unlust mit dem 
Unangenehmen hervorgeht, ist eine bekannte Erfahrung, die 
wir häufig machen, wie aus der Bemerkung erhellt, dass ein 
Unglück selten allein kommt. Wo sich Krankheit, Entbeh¬ 
rungen, Sorge für die Zukunft, Kummer über misslungene 
Unternehmungen, getäuschte Hoffnungen, missrathene Kinder, 
falsche Freunde, Scham über verlorene Ehre und Reue über 
begangene Fehltritte zusammenhäufen, und der Glaube an die 
Vorsehung im wüsten Treiben untergegangen ist, da ist das
	        
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