Full text: Drobisch, Moritz Wilhelm: Empirische Psychologie nach naturwissenschaftlicher Methode

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wird bei gehöriger Entfernung der Schenkel des Cirkels immer 
durch das Gefühl unterscheiden können, ob das Kügelchen über 
oder unter der Spitze ist. Wäre nun das Sehen des Oben 
und Unten nichts weiter als ein Empfinden des Licht- und Far¬ 
beneindrucks an einer beziehungsweise tiefern oder höhern 
Stelle der Netzhaut, so würde diese Unterscheidung 
mit der Gefühlsunterscheidung des Oben und Unten 
des ganzen Körpers, welche thatsächlich die entge¬ 
gengesetzte ist, in Widerspruch kommen. Offenbar 
aber ist das Sehen gar nicht ein solches blos innerliches En¬ 
pfinden des Farbigen und Leuchtenden. Chesselden’s Operirten 
und eben so Andern dünkte das Gesehene anfangs zwar das 
Auge zu berühren, aber es ist, soviel uns bekannt, nirgends 
bemerkt, dass sie anfangs die Gegenstände etwa in sich 
hinein versetzt hätten, wie es seyn müsste, wenn Sehen je 
ein blos subjectives Fühlen auf der Netzhaut, d. h. Empfinden 
eines Zustandes derselben seyn könnte. Aber schon Kepler 
sagte: wenn die Seele den auf den untern Theil der Netzhaut 
fallenden Lichtstrahl empfinde, so betrachte sie ihn so, als wenn 
er von oben herabkomme und nehme daher für den obern Theil. 
was sich unten abbilde. Freilich entsteht nun aber weiter die 
wichtige Frage, wie wir dazukommen, den Lichtstrahl als von 
oben her kommend zu betrachten. Darauf scheint nun die ein¬ 
lächste Antwort die: die Affection der Netzhaut durch den 
Lichtstrahl ist nicht eine rein oberflächliche; es malt sich nicht 
auf ihrer geometrischen Fläche ein Bild, wie ein Schatten, der 
die Oberfläche, auf die er fällt, nicht im mindesten verändert. 
sondern der Lichtstrahl übt einen Eindruck aus, in seiner 
Art ebenso, wie der Körper, gegen den wir uns stossen, oder 
der nach uns geworfen wird, in unsre Hautoberfläche einzu¬ 
dringen versucht. Dieser Eindruck des Lichts ist keine blosse 
Annahme, sondern eine Thatsache. Findet er nämlich statt. 
so muss der schief in das Auge einfallende Lichtstrahl nicht 
von einem Objecte auszugehen scheinen, das in seiner rück¬ 
warts zu nehmenden Verlängerung zu suchen ist, sondern von 
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
	        
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