Full text: Handbuch der psychischen Anthropologie oder der Lehre von der Natur des menschlichen Geistes (Bd. 2)

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bildungskraft widerstreiten der Gesundheit des Geistes nicht, 
(so sehr sie auch z. B. in der Astronomie den Jrrthum be¬ 
günstigt haben), denn die anschauliche Klarheit der Vor¬ 
stellungen soll in unserm Geiste nur durch den Sinn und 
die produktive Einbildung bestimmt werden und ist nicht 
Sache der Denkkraft und ihres Urtheils. Wenn hingegen 
die dem Denken, dem Urtheil dienenden Vor¬ 
stellungen im untern Gedankenlauf der Will¬ 
kührlichkeit des Vorstellungsspiels, also der Selbstbeherr¬ 
schung im Urtheil entzogen werden und sich als unüber¬ 
windliche Einbildungen fest stellen, so ist der Wahnsinn da. 
Der Einfluß der Selbstbeherrschung auf das Denken zeigt 
sich darin, daß das Urtheil des Menschen durch Gründe 
im Schluß beweglich bleibt, wenn ich hingegen durch sorg¬ 
fältige Beobachtung an einem Menschen gewahr werde, 
daß in einem bestimmten Vorstellungskreise seine Meinun¬ 
gen so festgestellt sind, daß Gründe gar nicht auf ihn wir¬ 
ken, so werde ich ihn in diesem Kreise für wahnsinnig hal= 
ten müssen. Wer Gelegenheit gehabt hat, gebildete Män= 
ner mit einzelnen firen Ideen oder wahnsinnigen Vorstel¬ 
lungen zu beobachten, der wird bemerkt haben, daß diese 
Männer, sobald man die wahnsinnige Seite ihres Gedan= 
kenspiels berührt, einen andern Ton im Raisonnement 
annehmen, als sonst. Sie werden hier mit vielem Scharf¬ 
sinn die kleinlichsten und sonderbarsten Gründe für ihre Mei= 
nung anzugeben wissen, hingegen die überwiegendsten und 
klarsten Gegengründe machen gar keinen Eindruck auf ihr 
Urtheil; der Wahnsinnige ist unvermögend, diese zu wür= 
digen, indem die entgegengesetzten Vorstellungen der Macht 
seiner Urtheilskraft ganz entzogen sind. 
a 
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
	        
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