2. Theil. Die Lehre vom Gemüthe. Gefühls=Vermögen.
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Hunger als Empfindung und nicht als Begierde betrachtet, ist ein dunkles
Gefühl der Seele theils von dem Mangel und dem beginnenden Verderbnisse der
ernährenden Säfte, theils von dem Mangel an Lebenskraft in dem thierischen
Körper. Der Durst als Empfindung betrachtet ist ein dunkles Gefühl der
Seele von dem Mangel der wässerichten Theile in den Säften des Körpers und
in einer daher entstehenden Unbeweglichkeit und salzichten Schärfe. Das Gefühl
des Hungers sowohl als des Durstes kann angenehm sein, wenn es nicht gar zu
stark ist und die Befriedigung der mit dem Gefühl verbundenen Begierde nicht
in zu weiter Ferne liegt; im entgegengesetzten Falle ist dieses Gefühl immer un
angenehm. Das Gefühl der Ersättigung besteht in der angenehmen Empfin¬
dung der Vermehrung und der Verbesserung der Säfte von der einen, und der
gestärkten Nervenkraft auf der andern Seite. Das Gefühl der Ersättigung rich¬
tet sich theils nach der Beschaffenheit der genossenen Nahrung, theils nach dem
chemischen Verhältnisse ihrer Bestandtheile zu den Säften des Magens, theils nach
der besonderen Empfindungsart der Nerven*). Die Sättigung wird zur Ueber¬
sättigung, wenn sie über das Maß des Bedürfnisses hinausgeht: durch sie
gehen weit mehr Menschen zu Grunde, als durch Hunger.
Die körperlichen Gefühle entstehen 1) aus körperlichen Eindrücken
und Beschaffenheiten überhaupt: dahin gehören alle diejenigen Ge¬
fühle, die sich auf das vegetative Leben beziehen und die aus den Trie¬
ben entspringen, welche zunächst auf die Erhaltung des Lebens ausgehen.
Sie sind entweder angenehm oder unangenehm, und im ersten Falle
Beförderungen, im zweiten Falle Hemmungen unserer Lebensthätigkeit. Zu
den erstern gehören: das Gefühl der Gesundheit, der Befriedigung des
Hungers, Durstes und anderer sinnlichen Bedürfnisse; zu den letzteren gehören:
das Gefühl von Leibeskrankheiten, von körperlicher Beängstigung, von körperli¬
chen Schmerzen, von mangelhafter Ausleerung, Hunger, Durst u. s. w.
Die somatischen Gefühle entstehen 2) aus Afficirung der eigentlichen
Sinnenorgane insbesondere aus der naturgemäßen Wirksamkeit derselben.
Dieses finden wir zuerst. beim äußern Sinne. Um ihrer selbst willen, abgesehen
von den dadurch zu gewinnenden Vorstellungen, verlangen die Sinnenorgane
einen ihrer Natur angemessenen Reiz: so sehnt sich schon das Auge des Kindes
nach dem Lichte, sein Ohr nach dem Schalle und dasselbe gilt von allen Sin¬
nen. Und zwar bewirkt jeder der naturgemäßen Wirksamkeit der Sinnenorgane
angemessene oder unangemessene Reiz ein angenehmes, bezüglich ein unangeneh¬
mes Gefühl. Die Annehmlichkeit solcher Gefühle wird besonders dann empfunden
wenn der angemessene Sinnenreiz längere Zeit nicht stattgefunden hat. Aehnliches
*) Platner: Neue Anthropologie. I. § 758 ss.