Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

Begriff des Erkennens. § 70. 
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Erkenntniß und nur in diesem Sinne gehört sie zur Erkenntniß. Dagegen fängt Er¬ 
kenntniß da an, wo die Anschauung schon vorhanden ist, wenn anders die Anschauung 
zur Erkenntniß wird; denn es ist auch sehr wohl möglich, daß die Anschauung 
zwar vorhanden ist, daß aber die Erkenntniß ausbleibt, wie wenn wir dem Wil¬ 
den eine noch nie gesehene Taschenuhr vorhalten, und die Erkenntniß muß im¬ 
mer ausbleiben, wenn noch kein Begriff vorhanden ist, wodurch die Anschauung 
gedacht wird. Darum sagen wir auch schlechtweg von einem Menschen, daß er 
dasjenige nicht kenne, wofür er noch keinen Begriff hat. Ist nun die Vorstel¬ 
lung des Gegenstandes eine richtige Vorstellung, wird auf den vorgestellten Ge¬ 
genstand der richtige Begriff übertragen und ist der Gedanke des Enthaltenseins 
des Gegenstandes unter dem darauf bezogenen Vegriffe ein richtiger Gedanke: 
o ist auch die Erkenntniß eine richtige oder eine wahre; fehlt aber auch nur 
eins dieser Stücke, so ist die Erkenntniß eine unrichtige oder eine falsche. 
Hiemit ist nun auch die Frage beantwortet, ob es richtige und wahre und ob 
es unrichtige und falsche Erkenntnisse wirklich gebe, und zwar kann es eine falsche 
Erkenntniß geben in einer dreifachen Rücksicht. Zur Richtigkeit oder zur Wahrheit 
der Erkenntniß könnte man übrigens auch noch als erforderlich erachten, daß sie 
uine absolut objectiv nothwendige, d. i. eine solche Erkenntniß sein 
müsse, welche durch das Object einzig und allein bestimmt wäre. Aber 
wenn man nur bedenkt, daß das Object nur insofern erkannt werden könne, wie 
es dem Subjecte erscheint, daß es größtentheils Sache des Subjectes ist, die 
Erscheinung aufzufassen, anzuschauen und wahrzunehmen und daß endlich alle 
Beurtheilung des Objectes lediglich aus dem Subjecte und seiner gesetzmäßigen 
Einrichtung ausgeht, daß also alle Erkenntniß wenigstens theilweise und der 
Hauptsache nach durch das Subject zu demjenigen wird, was sie ist; so leuchtet 
von selbst ein, daß es keine unbedingt objectiv nothwendige Erkenntniß, also auch 
in diesem Sinne keine wahre und zuverlässige Erkenntniß gebe und geben 
konne. Hiebei besteht jedoch, daß der Antheil, den das Subjeck an der Er¬ 
kenntniß nimmt, sich nur aus einem realen, mit der Erkenntniß über¬ 
einstimmenden Objecte als möglich begreifen lasse: jedenfalls ist aber die 
Erkenntniß selbst Werk des Subjectes, indem das erkennende Subject sich un¬ 
mittlbar bewußt wird, daß es selbst erkennt und daß nicht in ihm erkannt wird. 
Die Erkenntniß spricht sich gewöhnlich im Urtheile aus: doch gehört zur Er¬ 
kenntniß nicht nothwendig das ausdrückliche Urtheil, daß der Gegenstand unter 
dem Begriffe enthalten sei, sondern es ist zur Erkenntnißz nur erforderlich das 
Bewußzfsein eines meiner suhietiven Vorstellung entsprechenden, mir bekannten 
Objectes. Und da beim Urtheile Subject und Prädicat als schon bekannt ser¬ 
kannth) vorausgesetzt werden, so muß es in letzter Instanz auch ein Erkennen ge¬ 
ben, welches selbst noch kein Urtheilen ist. 
Max-Planck-Institut für Bildungsforsch
	        
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