Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

Max-Planck-inst 
X 
für Bildungsforschun 
1. Theil. Die Lehre vom Geiste. Denkvermögen. 
226 
Sinnes dadurch nicht zur individuellen Vorstellung, daß sie auf ein Individuum 
angewandt wird: ist sie doch nicht Vorstellung des Individuums selbst, sondern nur 
eine Bestimmung des Individuums, so wie der Individuen überhaupt, wodurch das 
Individuum, d. i. die Erscheinung, aus dem Reiche des bloßen Scheines in das 
der bedeutungsvollen Wirklichkeit versetzt wird. Da nun die Vorstellung des 
Seins jedesmal da vorkommt, wo wir durch das Gesicht erkennen, so werden 
wir hier zu untersuchen haben, was uns denn eigentlich durch das Gesicht vor¬ 
gestellt werde, und ob die Vorstellung des Seins darunter mit einbegriffen sei. 
Das, was uns durch das Gesicht vorgestellt wird, das z. B. was uns gerade jetzt 
hier in der Ecke der Stube vorgestellt wird und welches wir den Ofen nennen, 
ist immer ein Bild: an den Gesichtsbildern unterscheiden wir eine be¬ 
stimmte Ausdehnung, eine bestimmte Form und eine bestimmte Farbe, und 
wir finden nach der strengsten Prüfung nichts mehr, was uns durch das Ge¬ 
sicht vorgestellt würde. Aber ist denn nun eine solche Ausdehnung, eine solche 
Form und eine solche Farbe schon sofort ein Object, z. B. ein Ofen? Keines¬ 
weges, sondern Ausdehnung, Form und Farbe, wie sie auch immer verbunden 
werden mögen, setzen bereits ein Etwas oder ein Object — ein Ausgedehntes, 
ein Geformtes, ein Gefärbtes — voraus, nur unter dieser Voraussetzung sind 
je selbst etwas und ohne diese Voraussetzung sind sie nichts. Darum nehmen 
wir auch die Vorstellung des Etwas in die Vorstellung des Gesichtsbildes, z. B. 
des Ofens, mit auf und setzen sie an die erste Stelle: eben daher kommt es 
auch, daß uns die Vorstellung des Seins selbst als Gesichtsvorstellung gilt, 
obgleich in dieser Vorstellung gar nichts gesehen, überhaupt nichts angeschaut 
wird. Aber könnten nicht hier die übrigen Sinne den Mangel des Gesichtssin¬ 
nes ersetzen? Von dem Tastsinne wissen wir, daß uns bei ihm die 
Vorstellung der Realität noch weit stärker aufgedrungen wird, als dieses die 
Bilderwelt des Gesichtssinnes zu thun vermag: daher könnte es allerdings schei¬ 
nen, als verbände man, ohne es selbst zu bemerken, die frühere Vorstellung des 
Tastsinnes mit der jetzigen Gesichtsvorstellung und so entstehe uns die Vorstel¬ 
lung des eigentlichen Objectes, z. B. des Ofens. Aber verhält es sich in der 
That so, wie es sich hier zu verhalten scheint? Wo wir durch den Tast¬ 
sinn eine Erscheinung wahrnehmen, z. B. Festigkeit, Rauhigkeit, Härte, Un¬ 
ebenheit, da haben wir allerdings die Vorstellung eines äußern Widerstandes, 
auch wohl die Vorstellung unserer angestrengten Kraft, diesen Widerstand zu 
beseitigen: dabei wird aber schon vorausgesetzt, daß ein Etwas sei, welches 
diesen Widerstand leistet, aber es wird dieses Etwas, welches den Wider¬ 
stand leistet, durch den Tastsinn eben so wenig wahrgenommen, als durch den 
Gesichtssinn. Aber wir können doch die durch das Gesicht und das Getast vor¬ 
gestellte Oberfläche durchbrechen und so vielleicht zur Anschauung des eigentli¬
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer