Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

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2. Quelle der Psychologie. § 2. 
nommen, daß die Seelenerscheinungen sich in mancher Rücksicht der Berechnung 
darbieten, so wäre die Mathematik deshalb noch eben so wenig Quelle der Psy¬ 
chologie, als sie Quelle der Physik ist: höchstens wäre sie, wenn sie eine Hülfs¬ 
wissenschaft für diese ist, so auch eine Hülfswissenschaft für jene. Auch hat die 
Anwendung des mathematischen Calculs zur Bestimmung der Gesetze des Seelen¬ 
wesens nur auf etwas Weniges und an sich Unbedeutendes (in der Lehre von 
der Schwächung und Stärkung der Vorstellungen der Einbildungskraft und der 
Gefühle) einen allenfallsigen Sinn: aber auch hier kommt man ohne Rechnung 
und ohne Mathematik gerade so weit, als mit ihnen. Ueberhaupt könnte die 
Anwendung der Mathematik auf Psychologie nur dann einen Sinn haben, wenn 
es darum zu thun wäre, die besondern Arten des Zusammenhanges aufzufinden, 
der unter den einfachsten psychischen Vorgängen mit absoluter Nothwendigkeit 
tattfindet. Aber es gibt eine doppelte Causalität, eine nothwendige und eine 
freie, und wenn auch Herbart die Wirklichkeit einer freien Causalität ent¬ 
schieden in Abrede stellt, so ist es doch Thatsache des Bewußtseins: 1) daß die 
Veränderungen, insbesondere das Steigen und Sinken unserer Vorstellungen 
zwar allerdings an unabänderliche Gesetze gebunden, übrigens aber auch von 
ganz besondern und individuellen, bei den verschiedenen Menschen verschiedenen 
Umständen abhängig sind; 2) daß nicht die eiserne Nothwendigkeit, sondern ge¬ 
rade der freie Wille es ist, welcher einer Unzahl von Vorstellungen und Zu¬ 
tänden überhaupt ihr Dasein und ihre Veränderungen gibt, wie ja auch der 
freie Wille nicht bloß über unser Handeln, sondern auch über unser Vorstellen 
und Denken herrschen soll. Auch lassen sich sehr wohl Causalitäten erkennen, ohne 
daß dieses gerade vermittelst mathematischer Berechnung geschehen müßte. Aus 
dem Gesagten begreift sich, weshalb die Anwendung der Mathematik. auf Psy¬ 
chologie, nach welcher der ganze Mensch lediglich eine in Raum oder Zeit be¬ 
findliche, also meßbare oder zählbare, dazu eine überall der Nothwendigkeit 
unterworfene Größe wäre, bisher noch ohne bedeutenden Erfolg geblieben ist. 
Schließlich ist noch zu bemerken, daß für die Psychologie Alles und 
Jedes als Hülfsmittel in Betracht kommt, was seiner Natur nach der 
Art ist, daß es uns Aufschlüsse über unser Seelenwesen gestatten kann. Dahin 
gehört vorzüglich 1) die richtige Beobachtung anderer Menschen. Aber 
es ist uns nicht möglich, dasjenige, was in Andern vorgeht, unmittelbar zu 
erkennen; sondern wir können dieses nur mit größerer oder geringerer Wahr¬ 
scheinlichkeit aus gewissen Aeußerungen erschließen, wodurch der betreffende See¬ 
lenzustand naturgemäß sich zu erkennen gibt. Hier ist aber zweierlei zu bemer¬ 
ken: a) daß es sowohl auf eine richtige Wahrnehmung, als auf ein richtiges Ver¬ 
ständniß jener Zeichen ankommt; b) daß eine richtige Erkenntniß anderer Men¬ 
schen durch eine richtige Selbstkenntniß bedingt ist. Die Beurtheilung anderer 
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
	        
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