Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

Zweite Abtheilung. 
Das Denkvermögen. 
1. Begriff des Denkens. 
§ 53. 
So wie alles menschliche Erkennen mit der Erregung des äußern Sinnes 
seinen Anfang nimmt, so ist auch alles sinnliche Erkennen mit den Functionen 
des äußern und des innern Sinnes und der sich daran anschließenden Functio¬ 
nen der combinirenden und schematisirenden, der reproducirenden und der pro¬ 
ducirenden Einbildungskraft vollständig abgeschlossen. Die bloß sinnliche Erkennt¬ 
niß genügt aber dem Geiste weder in formaler, noch in materialer Hinsicht, in¬ 
dem die bloß sinnlichen Vorstellungen an sich nur eine bunte Vielheit von auf¬ 
tretenden und abtretenden Bildern ohne Ordnung, Regel und Gesetz bilden, 
und ihnen überdies die erforderliche Vollständigkeit und Vollendung fehlt¬ 
Das menschliche Erkenntnißvermögen bleibt aber auch bei diesen sinnlichen Bil¬ 
dern nicht stehen, sondern im Fortschritte geistiger Entwickelung zeigt sich auch 
ein Streben des Geistes, diese Bilder zu verarbeiten und ihnen die fehlende for¬ 
male und materiale Ausbildung und Vervollkommnung zu geben. Diese neue, 
jenseits der sinnlichen Anschauung liegende, sie voraussetzende und darauf fol¬ 
gende psychische Thätigkeit ist diejenige, welche wir Denken (cogitare = coa¬ 
gitare), gleichsam ein Zusammendrängen oder Verdichten unserer Vorstellungen 
nennen, weshalb auch Dichten und Denken früher in der Sprache fast gleich¬ 
bedeutende Ausdrücke waren. Wo wir nämlich vermittelst des Sinnes die uns 
aufgenöthigte Vorstellung einer Erscheinung erhalten haben, da suchen wir auch 
diese Erscheinung geistig zu deuten und geistig zu verarbeiten, und eben diese 
geistige Deutung und Verarbeitung des uns durch die Wahrnehmung geliefer¬ 
ten Stoffes ist diejenige Thätigkeit, welche Denken heißt. Wir denken also. 
wenn wir einen gegebenen, d. i. durch den Sinn vorgestellten Inhalt durch 
ubjective Vorstellungen oder durch Begriffe, d. i. durch solche Vorstel¬ 
lungen bestimmen, die eines geistigen Ursprunges, daher nur einem geistig intelli¬ 
genten, d. i. mit Verstand und Vernunft begabten Subjecte eigen sind. Ist nun die 
— 
Max-Planck-Institut für Bild 
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