Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

2. Quelle der Psychologie. § 2. 
in ihrer normalen Wirkungsweise betrachtende sein, welche dann noch weiteren Erörte¬ 
rungen über specielle psychologische Phänomene anderswo gern Raum gestatten würde. 
II. Quelle der Psychologie. 
§ 2. 
Unter Quelle verstehen wir ursprünglich einen Ausfluß des unter der 
Erde befindlichen Wassers und den Ort desselben: bildlich verstehen wir 
darunter Alles, was den Grund des Daseins oder der Erkenntniß eines 
andern Dinges enthält, mithin das principium existendi und das principium 
cognoscendi. Die Frage nach der Quelle einer Wissenschaft ist somit eine dop¬ 
pelte: eine Frage nach der Realquelle und eine Frage nach der Erkennt¬ 
nißquelle derselben. Die Realquelle einer Wissenschaft ist dasjenige, was den 
Inhalt der Wissenschaft aus sich erzeugt, aus welchem ihr Inhalt entspringt; 
Erkenntnißquelle ist dasjenige, aus welchem der aus der Realquelle hervorfließende 
Inhalt erkennbar ist. Die Beantwortung der Frage nach der Realquelle der 
Psychologie muß ganz verschieden ausfallen, je nachdem man in der menschlichen 
Natur entweder nur ein einziges substantielles Princip oder deren zwei gelten läßt. 
Im Systeme des (materialistischen) Monismus, nach welchem der Mensch aus 
einer einzigen, körperlichen, organischen, belebten Substanz besteht und demzufolge 
der Mensch nichts als vollkommenes Thier ist, kann nur die körperliche, organi¬ 
sche, lebendige Natur als Quelle der Psychologie in Betracht kommen, und was 
ich aus dieser Quelle nicht begreifen läßt, das muß sofort in das Reich des 
Scheines verwiesen werden. Die Psychologie ist dann nichts als bloße Natur¬ 
wissenschaft, als welche sie sich auch in neuern Bearbeitungen unverholen 
ankündigt.*) Dahingegen gibt es im Systeme des Dualismus, nach welchem der 
Mensch die Vereinigung eines körperlichen und eines geistigen Princips, also 
zweier Naturen zu einer persönlichen Einheit ist, zwei Realquellen der Psy¬ 
chologie, nämlich die körperliche Natur und den unkörperlichen Geist. 
Auf die erste dieser Realquellen beziehen wir die Zustände der erkennenden, fühlenden 
und begehrenden Seele, wie sie der thierischen 
analog sind, überhaupt Alles, was 
seinem Inhalte und seiner Form nach Natur und Natürliches ist: auf die zweite 
dieser Realquellen beziehen wir alle diejenigen Zustände, welche, weil sie in dem Leib¬ 
lichen kein Vorbild haben, sich aus der ersten dieser Realquellen nicht begreifen lassen 
wollen, sondern nur aus einem rein geistigen Princip begreiflich sind. Erkenntni߬ 
quelle der Psychologie kann aber nur dasjenige sein, wor aus sich die Wirkungen 
) So nennt Waitz sein Werk (Braunschweig 1849) ausdrücklich: „Lehrbuch der Psycho¬ 
logie als Naturwissenschaft.“ Eigentlich sollte es heißen: Psychologie vom Stand¬ 
punkte des Naturalismus aus. 
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
	        
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