Bewußtsein. Bewußtsein der Vorstellung. § 32.
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Die Mittelbarkeit der Vorstellung ändert an der Natur des Bewußtseins nichts;
denn wir legen uns nicht allein da ein Wissen bei, wo wir augenblicklich einen
Gegenstand sinnlich anschauen, sondern auch da, wo der Act der sinnlichen An¬
chauung zwar vorüber ist, wo wir jedoch die Anschauung des Gegenstandes
als eine durch den Sinn vermittelte Vorstellung noch haben. Das unmittelbare
owohl, als das mittelbare Bewußtsein ist entweder Bewußtsein der Sache
außer uns (äußeres Bewußtsein), oder Bewußtsein der Sache in uns
inneres Bewußtsein). Daß der Kreis des mittelbaren Bewußtseins weit größer
ist, als der Kreis des unmittelbaren, ist eben so klar, als daß das mittelbare
Bewußtsein jederzeit durch eine Erinnerung vermittelt wird, oder selbst Erinne¬
rung ist. Gegenstand des unmittelbaren innern Bewußtseins ist nur das, was
wir in unserm eigentlichen Selbst empfinden, d. h. es sind die psycholo¬
gischen Zustände der Innenwelt. Darum ist weder das, was wir durch den
Sinn von der Außenwelt, selbst von unserm Leibe erkennen, noch das, was wir
durch die Denkkraft erschließen, Gegenstand des unmittelbaren innern Bewußt¬
seins, sondern nur unsere innern Lebenszustände machen die Sphäre des¬
selben aus. Das unmittelbare innere Bewußtsein ist die höchste für Menschen
erreichbare Gewißheit; denn hierauf geht alles Suchen nach einer höhern Er¬
kenntniß zurück, und in ihm hört es auf. In dem unmittelbaren innern Bewußt¬
sein, und nur in ihm, treffen wir die Gesetze unsers Erkennens und Handelns
an, so wie die Nothwendigkeit, nach ihnen zu erkennen und zu handeln; und
wir können keine größere Gewißheit weder der eigenen Nothwendigkeit, noch der
uns nöthigenden Gesetze erreichen, als daß wir uns derselben als in uns vor¬
handener unmittelbar bewußt sind. Aber können wir auch durch unmittelbares
Bewußtsein sogleich mit erkennen, daß wir eine den Gesetzen unsers Erkennens
entsprechende Erkenntniß erworben haben? In keiner Erkenntniß — und folglich
auch in keinem unmittelbaren innern Bewußtsein
— kann etwas über sie
selbst erkannt werden, weder über ihr Dasein, noch über ihre Beschaffenheit.
weil sie ihr Object nicht ist; sondern damit sie selbst erkannt werde, muß eine
neue Erkenntniß entstehen, und sie das Object derselben werden. Es ist somit
eine zweite Erkenntniß, d. h. es ist eine Erkenntniß dieser Erkenntniß erfor¬
derlich, um die erste als eine den Gesetzen des Erkennens entsprechende
und somit nothwendige Erkenntniß erkennen zu können. Ueber diese zweite Er¬
kenntniß muß aber aus gleichem Grunde und zu gleichem Zwecke eine dritte
Erkenntniß entstehen, und so in's Unendliche: weil uns kein Bewußtsein
in ihm selbst, sondern nur in einem folgenden erscheinen kann.
welches neue Bewußtsein uns aber eben so wenig als ein unzuverlässiges wie als
ein zuverlässiges bekannt ist. Hieraus ergibt sich, daß das unmittelbare innere
Bewußtsein der Nothwendigkeit unserer Erkenntniß für sich allein die Zuper¬
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Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
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