Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

Menschliches Bewußtsein. § 31. 
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nur diesseits des Selbstbewußtseins und ist allein möglich unter der Voraussetzung 
einer Unbezweifelbarkeit; der tiefe Gedanke: „Ich bin,“ in welchem das Selbst¬ 
bewußtsein zuerst auftritt, das feste Bollwerk zur Erreichung oder zur Verthei¬ 
digung einer jeden andern Wirklichkeit. Weil aber das Ich im Bewußtsein nicht 
als ein todtes, sondern als ein lebendiges erscheint, wie auch Gott nicht 
ein Gott der Todten, sondern nur ein Gott der Lebendigen ist, so gibt es auch 
keine höhere Bekräftigung der Wahrheit, als den Ausspruch: „So wahr ich lebe!“ 
Und sofern der Mensch erst in seinem lebendigen Sein sich als Sein erfaßt und 
chon das Denken selbst Leben ist, hatte der h. Augustinus eben sowohl ein 
Recht, zu sagen: Vivo, ergo sum, in der Folge Cartesius: Cogito ergo 
sum. — 
Eine besondere Art des Selbstbewußtseins ist das Gewissen, d. i. 
der Ausspruch darüber, was wir als freie und sittliche Wesen in diesem beson¬ 
dern, gerade jetzt vorliegenden Falle zu thun und zu lassen haben. Das Gewis¬ 
sen tritt erst mit dem Selbstbewußtsein, aber auch mit diesem, wenngleich bald 
mehr bald minder vollkommen auf, d. h. mit dem Bewußtsein, daß ich bin. 
tritt zugleich das Bewußtsein ein, daß ich soll; doch geben sich auch schon 
vor dem eigentlichen Selbstbewußtsein deutliche Spuren des Gewissens im Men¬ 
schen zu erkennen. Mit dem Bewußtsein, daß ich soll, ist aber auch gleichzeitig 
das Bewußtsein vorhanden, daß ich kann, d. h. das Bewußtsein meiner 
Freiheit ist von dem Bewußtsein meiner Ichheit unzertrennlich. Die un¬ 
bezweifelbare Thatsache, daß das Gewissen uns für alle freien Handlungen 
unsers gesammten Lebens, die der frühesten Jugend und die des spätesten Alters 
verantwortlich macht, findet nur darin ihre Begreiflichkeit, daß es weder eine 
Vielheit von Ichsubjecten gibt, noch das eine Ich in einem beständigen sub¬ 
stanziellen Wechsel begriffen ist, sondern daß die Ichsubstanz ein einiges, un¬ 
wandelbares Sein ist, welche ungeachtet aller Veränderungen des menschlichen 
Daseins eine und dieselbe bleibt. Alles Bewußtsein des Menschen geht vom 
Selbstbewußtsein aus, und es ist dieses das Grund= und Wurzelwissen; jedes 
Andere kann nur verstanden werden aus dem Selbstbewußtsein, und nur das 
gilt uns als ein Anderes, was sich aus dem Selbstbewußtsein nicht begreifen 
läßt, sondern woraus nur gewisse Erscheinungen des Selbstbewußtseins begriffen 
werden können. Auch läßt sich in einem guten Sinne sagen, daß das Selbsthe¬ 
wußtsein das einzige Wissen des Menschen sei, indem alles Wissen entweder 
ursprüngliches Wissen oder doch Weiterbildung, Erfüllung, Verklärung und 
Vollendung des ursprünglichen Wissens ist. So ist unsere Erkenntniß Gottes und 
der Natur nur Vollendung unsers Selbstbewußtseins: Gott und Natur müssen 
begriffen werden aus dem Geiste, wie auch umgekehrt, jedoch in anderer Hinsicht 
der Geist nur aus Natur und aus Gott begriffen werden kann. Darum ist auch die 
Wissenschaft nichts, als das sich selbst sichernde, vollendende, verklärende Selbsthe. 
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
	        
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