Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 
1. Theil. Die Lehre vom Geiste. Aeußerer Sinn. 
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Vernehmlichkeit, gleichsam als ein Getast empfunden. Unterscheidet sich doch der 
Gehörsinn von dem Tastsinne zunächst bloß dadurch, daß das Hörorgan sich nur 
durch eine höhere Fertigkeit in freie Schwingungen zu gerathen vor dem Tast¬ 
sinne auszeichnet, während auch das Tastorgan durch die der Luft witgetheilten 
Erzitterungen oder Erschütterungen angeregt werden kann. Darum ergreifen 
halbtaube Personen den schallenden Körper, wie das musikalische Instrument, mit 
der Hand, um besser zu hören; wird aber durch ein fest um den Arm gelegtes 
Band die Fortpflanzung der Schwingungen gehemmt, so hört auch jene Wirkung 
auf- Auch völlig taube Personen erkennen das Oeffnen oder Schließen einer 
Hausthüre oder eines andern Geräusches mit voller Gewißheit aus den zu ihnen 
vermittelst des Fußbodens geleiteten Schwingungen. So wird auch bei den nie¬ 
dern Thieren, wie bei dem Regenwurme, der bei jedem starken Geräusche sofort 
in die Erde zurückkriecht, der Gehörsinn durch die Empfänglichkeit der Haut ersetzt. 
Auch hat der Tastsinn 3) eine unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Geschmacks¬ 
sinne, wie ja schon die Organisation der Geschmackswerkzeuge in den Grund¬ 
zügen mit denen der Tastwerkzeuge einerlei ist, bei beiden Sinnen der Gegen¬ 
stand unmittelbar gegenwärtig ist und die Zunge, wenngleich im untergeordneten 
Grade, ebenso wie die Hand ein Organ des Ergreifens und Anziehens äußerer 
Körper, so wie Erkenntnißmittel der verschiedenen Consistenzgrade, wie des Har¬ 
ten, Weichen, Zähen, Spröden ist. Selbst solche Qualitäten der Objecte, welche nicht 
sowohl durch das Geschmacksvermögen, als vielmehr nur durch das Tastvermögen 
der Zunge erkannt werden, wie das Gallertartige, Schleimige, Mürbe, Mehlige, 
haben auf die Bestimmung und Annehmlichkeit des Geschmacks einen nicht ge¬ 
ringen Einfluß. Daß übrigens die Zunge den Umfang, die Schärfe und die 
Feinheit des eigentlichen Tastorgans, insbesondere der Fingerspitzen, nicht errei¬ 
chen kann, bedarf kaum der Erwähnung. Dahingegen soll 4) der Tastsinn zum 
Riechsinne im Verhältnisse des Gegensatzes stehen *): so hat man bei 
Gelegenheit kalter Abwaschungen bemerkt, daß im Augenblicke, als die Kälte des 
Wassers auf die leibliche Wärme agirte und letztere in den Organismus tiefer 
zurückflüchtete, die Seifenkugel auf dem Waschtische und selbst andere, nebenan 
versperrte Stoffe als starke Riechstoffe empfunden wurden. Allerdings deutet 
dieses darauf hin, daß der Geruchssinn ein, im Vergleich mit dem aus sich 
herausgehenden Tastsinne, noch mehr organisch oder leiblich befangener, inner¬ 
licher Sinn ist. 
*) Gärtner, die Welt u. s. w. S. 373. Aufl. 2. Wien 1852.
	        
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