Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

91 
Der Gefühlssinn. § 22. 
und Witz, als durch Geistesstärke und Willenskraft auszeichnen. Die psychische 
Hand endlich kommt nur bei bedeutenden Individualitäten vor und nur in 
Verbindung mit edlerer Geistesbildung; sie soll vielleicht noch sicherer, als ein 
schönes Gesicht, auf eine schöne Seele schließen lassen, die sich zu den rohen Arbeiten 
der Masse nicht berufen fühlt. Daß es zwischen dieser vierfachen Hand ver¬ 
schiedene Abstufungen und Uebergänge gibt, braucht kaum bemerkt zu werden. 
Die motorische Hand ist mehr den nördlichen, die sensible mehr den südlichen 
Völkern Europas eigen, wogegen die psychische Hand mehr in den Gegenden 
des kaukasischen Stammes, in den europäischen Ländern aber am meisten in 
Deutschland und England vorkommen soll. Die Verschiedenheit der Hand gibt 
sich insbesondere in der Handschrift kund, welche zwar bei jedem Menschen 
verschieden, oft aber auch bei verschiedenen Völkern und in gewissen Zeiträumen 
im Ganzen dieselbe ist. Weil die Handschrift mit der Hand und die Hand mit 
der Seele in so inniger Verbindung steht, so wird begreiflich, weshalb wir un¬ 
willkürlich auf die Handschrift sehen und von dieser auf die Individualität des 
Schreibenden schließen: und auch das Sammeln von Autographen, so wie die 
Autographen unter den Bildnissen haben keinen andern psychologischen Grund. Der 
Mensch hat zwei Hände wie zwei Augen und Ohren; jede Hand besteht aus 
drei Abtheilungen, der Handwurzel, der Mittelhand und den Fingern. Der Mensch 
hat an jeder Hand fünf ausgebildete Finger, die am Daumen zwei, an jedem andern 
Finger drei Knochen zählen, welche die entsprechenden Glieder bilden. Die Ausbildung 
des Fußes zur Hand geschieht dadurch, daß die Zehen geschieden aus einander treten 
und eine der Zehen den andern als Daumen gegenübertritt. Nur bei dem Menschen 
wird der Fuß zur Hand, wogegen er beim Thiere Pfote bleibt; ein Ausdruck, 
der von den menschlichen Händen und Fingern nur im verächtlichen oder scherz¬ 
haften Sinne gebraucht wird. Die größte Sensibilität der gelenkigen Hand be¬ 
indet sich in den sehr beweglichen und nervenreichen Fingern, vorzüglich in den 
Fingerspitzen und ihrem Warzengewebe. Die größte Tastempfindlichkeit besitzt der 
Zeigefinger und von ihm nimmt sie ab bis zum kleinen Finger, wogegen der 
Daumen feiner fühlt, als der kleine Finger. Die Sensibilität der Finger wird 
befordert durch die hornartige Bedeckung der äußersten Enden desselben, welche 
bei dem Menschen breiter und gerader, bei dem Thiere krümmer und dicker sind 
dort Nägel, hier Klauen heißen. Daraus, daß der Mensch seine Absichten 
durchweg mit der Hand verwirklicht und diese im gewöhnlichen und geselligen 
Leben die Hauptrolle spielen muß, erklärt sich, weshalb alles menschliche Thun 
Händeln- und alle menschlichen Thätigkeiten Handlungen genannt werden. 
Darum ist die Hand unter allen menschlichen Organen der wichtigsten eines. 
Darum nennt Aristoteles die Hand das Organ der Organe und Angragoras 
behauptete sogar, die Stiere würden Menschen sein, wenn sie Hände hätten. 
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer