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Der Gefühlssinn. § 22.
und Witz, als durch Geistesstärke und Willenskraft auszeichnen. Die psychische
Hand endlich kommt nur bei bedeutenden Individualitäten vor und nur in
Verbindung mit edlerer Geistesbildung; sie soll vielleicht noch sicherer, als ein
schönes Gesicht, auf eine schöne Seele schließen lassen, die sich zu den rohen Arbeiten
der Masse nicht berufen fühlt. Daß es zwischen dieser vierfachen Hand ver¬
schiedene Abstufungen und Uebergänge gibt, braucht kaum bemerkt zu werden.
Die motorische Hand ist mehr den nördlichen, die sensible mehr den südlichen
Völkern Europas eigen, wogegen die psychische Hand mehr in den Gegenden
des kaukasischen Stammes, in den europäischen Ländern aber am meisten in
Deutschland und England vorkommen soll. Die Verschiedenheit der Hand gibt
sich insbesondere in der Handschrift kund, welche zwar bei jedem Menschen
verschieden, oft aber auch bei verschiedenen Völkern und in gewissen Zeiträumen
im Ganzen dieselbe ist. Weil die Handschrift mit der Hand und die Hand mit
der Seele in so inniger Verbindung steht, so wird begreiflich, weshalb wir un¬
willkürlich auf die Handschrift sehen und von dieser auf die Individualität des
Schreibenden schließen: und auch das Sammeln von Autographen, so wie die
Autographen unter den Bildnissen haben keinen andern psychologischen Grund. Der
Mensch hat zwei Hände wie zwei Augen und Ohren; jede Hand besteht aus
drei Abtheilungen, der Handwurzel, der Mittelhand und den Fingern. Der Mensch
hat an jeder Hand fünf ausgebildete Finger, die am Daumen zwei, an jedem andern
Finger drei Knochen zählen, welche die entsprechenden Glieder bilden. Die Ausbildung
des Fußes zur Hand geschieht dadurch, daß die Zehen geschieden aus einander treten
und eine der Zehen den andern als Daumen gegenübertritt. Nur bei dem Menschen
wird der Fuß zur Hand, wogegen er beim Thiere Pfote bleibt; ein Ausdruck,
der von den menschlichen Händen und Fingern nur im verächtlichen oder scherz¬
haften Sinne gebraucht wird. Die größte Sensibilität der gelenkigen Hand be¬
indet sich in den sehr beweglichen und nervenreichen Fingern, vorzüglich in den
Fingerspitzen und ihrem Warzengewebe. Die größte Tastempfindlichkeit besitzt der
Zeigefinger und von ihm nimmt sie ab bis zum kleinen Finger, wogegen der
Daumen feiner fühlt, als der kleine Finger. Die Sensibilität der Finger wird
befordert durch die hornartige Bedeckung der äußersten Enden desselben, welche
bei dem Menschen breiter und gerader, bei dem Thiere krümmer und dicker sind
dort Nägel, hier Klauen heißen. Daraus, daß der Mensch seine Absichten
durchweg mit der Hand verwirklicht und diese im gewöhnlichen und geselligen
Leben die Hauptrolle spielen muß, erklärt sich, weshalb alles menschliche Thun
Händeln- und alle menschlichen Thätigkeiten Handlungen genannt werden.
Darum ist die Hand unter allen menschlichen Organen der wichtigsten eines.
Darum nennt Aristoteles die Hand das Organ der Organe und Angragoras
behauptete sogar, die Stiere würden Menschen sein, wenn sie Hände hätten.
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung