Einleitung
Als 1969 die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gemeinsam
mit den Freien Demokraten die Regierung der Bundesrepublik über
nahm, wurde die Bildungspolitik zum ersten Mal als eine der
Hauptaufgaben der neuen Regierung erwähnt. Die Priorität des
Bildungsbereichs wurde betont, die Beschleunigung der Reform
von Schule und Hochschule beschworen. Vorangegangen waren
nach Jahren bildungspolitischen Unbewußtseins Kassandrarufe
über die Zukunft des deutschen Bildungswesens, über die Zukunft
einer Industrienation, deren Kinder im Stil einer ständischen
Gesellschaft ausgebildet wurden. Georg Picht hatte die
"Bildungskatastrophe"' ausgerufen, die über die Bundesrepublik
einbrechen müßte, würde das Bildungssystem nicht den Erforder-
nissen einer modernen Industriegesellschaft angepaßt. Vergleiche
mit anderen industriellen Staaten in Ost und West bestärkten den
Eindruck eines hohen bildungspolitischen Defizits der BRD und
der Disfunktionalität der traditionellen Ausbildung.
Was bis Mitte der 60er Jahre noch als internes Wehgeschrei
einiger bildungspolitischer und pädagogischer Angstmacher wenig
Beachtung fand, mußte endlich auch von den Politikern ernstge-
nommen werden. Die Kritik an Schule und Hochschule wurde allge¬
mein aufgenommen. Schüler und Studenten gingen auf die Straße
und forderten nicht nur eine funktionale, sondern auch eine
demokratische Ausbildung. Damit waren zwei Hauptforderungen
hinsichtlich der Reform des Bildungswesens ausgesprochen :
einerseits sollte die Ausbildung den veränderten Anforderungen
einer wissenschaftlichen und technischen Entwicklung der Gesell-
schaft angepaßt werden, Schule und Hochschule sollten ökonomisch
funktional und effektiv werden, andererseits erforderte die
politische und soziale Entwicklung einer demokratischen Gesell-
schaft den Abbau traditioneller Hierarchien und Privilegien.
1
Der konservative Pädagoge Georg Picht veröffentlichte 1964
"Christ und Welt" eine Artikelserie
in der Wochenzeitung
mit dem Titel "Die deutsche Bildungskatastrophe.
Die Serie
ist unter gleichem Titel im Walter Verlag, Freiburg i.B.
neu veröffentlicht.