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Ungewißheit: Wissen um die relative Unbestimmheit des Lebens und die Art,
damit umzugehen
Definition
Eine Voraussetzung guten Urteilens bei schwierigen Problemen und Entscheidungen des Lebens
ist das Denken, das die Ungewißheiten des Lebens berücksichtigt. Damit ist das Wissen und
dessen Anwendung gemeint, daß der Verlauf des Lebens relativ unbestimmt ist und
Lebensentscheidungen, Lebensinterpretationen und Zukunftsentwürfe nie frei von Ungewißheit
sind. Dies setzt die Einsicht voraus, daß man niemals über alle Informationen und
Einflußmöglichkeiten verfügt, die alle Zweifel, mit denen Lebensfragen und der Lebensverlauf
behaftet sind, ausräumen können, und daß deshalb weder Gegenwart noch Zukunft in allen
Einzelheiten plan- und kontrollierbar sind. Für die rückblickende Bewertung und Erklärung des
Lebens bedeutet das, daß die vergangenen Entscheidungen in der Ungewißheit über die weitere
Entwicklung des Lebens getroffen wurden und daß auf der Grundlage gegenwärtiger
Erkenntnisse frühere Deutungen und Erklärungen sich immer wieder ändern und neu bewertet
werden können und daß man nie mit Sicherheit sagen kann, ob die rückblickende Interpretation
die "Richtige" ist.
Hervorragendes Wissen um die Ungewißheiten des Lebens zeichnet sich durch folgende
Aspekte aus:
Es wird die Tatsache anerkannt, daß in der Zukunft unerwartete Ereignisse und
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Entwicklungen (individuelle oder gesellschaftliche) auftreten können, daß von der
Vergangenheit und der Gegenwart nie alle nötigen Informationen bekannt sind und
sich somit Bewertungen von Lebensentwicklungen verändern können.
Jemand, der mit den Ungewißheiten des Lebens (Vergangenheit, Gegenwart,
Zukunft) umgehen kann, besitzt Annahmen und Schätzungen darüber, welche
Ereignisse in verschiedenen Lebensabschnitten wahrscheinlich eintreten werden,
welche gegenwärtige Entscheidung noch die relativ beste ist oder welche
Interpretation die höchste Wahrscheinlichkeit hat.
Über das Erkennen der Ungewißheit des Lebens hinaus wird auch der erfolgreiche
Umgang mit dieser Ungewißheit deutlich. Es wird die Einsicht erkennbar, daß gerade
angesichts der Ungewißheit Planungen, Entscheidungen oder Bewertungen nicht
resignativ vermieden, sondern bestmöglich getroffen werden müssen. Dies kann auch
implizieren, daß die endgültige Entscheidung bis auf den Zeitpunkt verlagert wird, zu
dem alle notwendigen und erhältlichen Informationen vorliegen. Trotz lückenhafter
Informationen besteht die Bereitschaft, seinem eigenen Urteil zu vertrauen, aber auch