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solch eine Entlastung von individuellem Bedürfnisdruck, Not-
durft, daß arbeitsteilige Kooperation und vorbereitende und
vorsorgende Arbeit möglich wird.
Die Trennung - Äußerlichkeit - in der Arbeitsteilung voraus-
—
setzen und erst im nachhinein die Verbindung konstruieren
wie Leontjew verfährt, wenn er das Individuum nach getaner
Arbeit einen Teil des Produkts von anderen Kollektivmitglie-
dern erhalten läßt -, bedeutet nichts anderes als die Trennung
von Individuum und Gesellschaft, die Trennung von Bedürfnis
und Bedürfnisgegenstand und entsprechenden Triebaufschub durch
gesellschaftliche Arbeit, was jeweils erst im nachhinein wieder
durch die gesellschaftliche Verteilung der Güter relativiert
wird.
Auch die Auffassung über die Entwicklung der sexuellen Bezie-
hungen spiegelt Leontjews Theorie des Triebverzichts wider:
"Zu Beginn der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wa¬
ren zum Beispiel die Geschlechtsbeziehungen durch nichts ein¬
geschränkt, sie lagen im Bereich rein instinktiver Beziehungen.
Allmählich wurden die möglichen Geschlechtsbeziehungen durch
die Ehegemeinschaft eingeengt. Dazu mußten sie aber in den Be¬
reich der bewußtgewordenen Beziehungen eingegangen sein. Die
Tatsache, daß manche von ihnen verboten waren, setzt das be¬
wußte Erfassen verwandtschaftlicher Beziehungen voraus.
(Leontjew 1973, S.
230)
Abgesehen von den durchaus zweifelhaften Tatsachenbehauptun¬
gen, liegt hier eine merkwürdige Logik vor: Rein instinktive
Geschlechtsbeziehungen waren nach seiner Auffassung durch
nichts eingeschränkt, obwohl er doch an anderer Stelle er-
klärt, daß die Entstehung von Arbeitsteilung eine primitive
Hierarchie zur Voraussetzung hatte; diese Hierarchie müßte
also die Geschlechtsbeziehungen nicht berührt haben, obwohl
doch gerade bei Affen, die er im Zusammenhang mit der Hierar¬
chie erwähnt, jede auftretende Hierarchie sich ganz massiv
beschränkend auf die Geschlechtsbeziehungen auswirkt. Darüber
hinaus ermöglicht nach seinen Ausführungen die Entwicklung des
gesellschaftlichen - Bewußtseins nicht die Entfaltung der