Full text: Grote, Claudia von: ¬Die Bedeutung der soziolinguistischen Kodes für die kommunikativen Fähigkeiten eines Sprechers

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Die soziale Funktion von "ich" (1. Person Singular), nämlich 
sich von den anderen zu differenzieren, und die von "sie' 
(3. Person Plural), nämlich die Referenten nicht zu spezifi- 
zieren, setzt Bernstein eindeutig in Beziehung zum EK und RK. 
Würde die Verwendung von "ich" eine Qualität des EK sein, hieße 
das Ergebnis von Williams und Naremore, daß auch die US-Kinder 
über den EK verfügen. Dies wäre die unsinnige Konsequenz einer 
Gleichsetzung von Bedeutung und sprachlichem Symbol. Der Wider 
spruch des Ergebnisses löst sich unversehens auf, wenn die 
Bedeutung des Symbols auf die kommunikative Funktion, die das 
sprachliche Symbol in einem spezifischen Kontext erfüllt, 
zurückgeführt wird. 
Im Kontext einer Gruppendiskussion über ein philosophisch- 
moralisches Thema wird dem "ich" die Funktion zukommen, die 
Beziehung von eigenem Urteil zu dem anderer zu signalisieren, 
zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der Anpassung an oder der 
Selbstbehauptung gegen eine offiziöse Meinung. Demgegenüber 
erfüllt das "ich" im Interviewkontext über eine TV-Sendung eine 
gänzlich andere Funktion beziehungsweise hat eine andere Bedeu- 
tung. Nicht der Inhalt oder die Qualität des TV-Programms wird 
dominanter Referent der Erzählung (3. Person Singular), sondern 
der Sprecher nimmt vorallem sich selbst zum Referenten. Ange¬ 
sichts eines dem Interviewers unbekannten Films demonstriert 
der häufigere Gebrauch der 1. Person Singular bei den US-Kin¬ 
dern eher eine egozentrische Perspektive, wohingegen die häufi¬ 
gere Verwendung der 3. Person Singular bei den MS-Kindern die 
Schilderung der Geschichte des Films andeutet, also eine Reaktion 
auf die Frage des Interviewers aus dessen Perspektive darstellt. 
Die ersten empirischen Arbeiten, die Komponenten der sozialen 
Situation (Thema, Aufgabenstellung, Kommunikationspartner, Kommu- 
nikationsbedingung, Kanal und ähnliches) systematisch variiert 
und kontrolliert haben, sind aber noch vorwiegend der Frage¬ 
stellung gefolgt, welchen Einfluß die restriktiven Situations-
	        
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