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Die soziale Funktion von "ich" (1. Person Singular), nämlich
sich von den anderen zu differenzieren, und die von "sie'
(3. Person Plural), nämlich die Referenten nicht zu spezifi-
zieren, setzt Bernstein eindeutig in Beziehung zum EK und RK.
Würde die Verwendung von "ich" eine Qualität des EK sein, hieße
das Ergebnis von Williams und Naremore, daß auch die US-Kinder
über den EK verfügen. Dies wäre die unsinnige Konsequenz einer
Gleichsetzung von Bedeutung und sprachlichem Symbol. Der Wider
spruch des Ergebnisses löst sich unversehens auf, wenn die
Bedeutung des Symbols auf die kommunikative Funktion, die das
sprachliche Symbol in einem spezifischen Kontext erfüllt,
zurückgeführt wird.
Im Kontext einer Gruppendiskussion über ein philosophisch-
moralisches Thema wird dem "ich" die Funktion zukommen, die
Beziehung von eigenem Urteil zu dem anderer zu signalisieren,
zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der Anpassung an oder der
Selbstbehauptung gegen eine offiziöse Meinung. Demgegenüber
erfüllt das "ich" im Interviewkontext über eine TV-Sendung eine
gänzlich andere Funktion beziehungsweise hat eine andere Bedeu-
tung. Nicht der Inhalt oder die Qualität des TV-Programms wird
dominanter Referent der Erzählung (3. Person Singular), sondern
der Sprecher nimmt vorallem sich selbst zum Referenten. Ange¬
sichts eines dem Interviewers unbekannten Films demonstriert
der häufigere Gebrauch der 1. Person Singular bei den US-Kin¬
dern eher eine egozentrische Perspektive, wohingegen die häufi¬
gere Verwendung der 3. Person Singular bei den MS-Kindern die
Schilderung der Geschichte des Films andeutet, also eine Reaktion
auf die Frage des Interviewers aus dessen Perspektive darstellt.
Die ersten empirischen Arbeiten, die Komponenten der sozialen
Situation (Thema, Aufgabenstellung, Kommunikationspartner, Kommu-
nikationsbedingung, Kanal und ähnliches) systematisch variiert
und kontrolliert haben, sind aber noch vorwiegend der Frage¬
stellung gefolgt, welchen Einfluß die restriktiven Situations-