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daß man dem Nächsten das geringste Unrecht zu¬
fügte oder Nachtheiliges über ihn sprach. So oft
sie dergleichen Worte hörte, machte sie vor Allem
es sich zur heiligen Pflicht, dieselben nicht zu wieder¬
holen, daher wollte sie auch nie zu einer Vertrauten
erwählt werden, sobald dadurch der gute Ruf von
irgend Jemand im Spiele war*).
Wie alle auserwählten Seelen, hatte auch die
selige Margaretha vom allerheiligsten Sacramente
von Kindheit an eine große Vorliebe zu den Armen.
Damals schon betrübte sie sich darüber, daß ihre
Mutter sie gerne prächtig kleidete. Sie hatte keinen
innigeren Wunsch als Denen zu gleichen, die sie als
die besonderen Lieblinge des Heilandes ansah. An
keinem Armen, der ihr begegnete, konnte sie vorüber¬
gehen, ohne ihn liebevoll nach seinen Bedürfnissen
zu fragen und ihm eine kleine Gabe mit freund¬
lichen, trostreichen und frommen Worten zu reichen.
Dies that sie mit solcher Anmuth und Lieblichkeit,
daß die Vorübergehenden mit staunender Bewun¬
derung auf sie hinblickten. Unter andern saß eine
alte Frau fast beständig vor dem Hause des Herrn
Parigot, des Vaters dieses wunderbaren Kindes.
Diese Frau war oft der Gegenstand der zärtlichsten
Liebesbeweise von Seiten Margaretha's. Auch als
sie als Pensionärin zu den Ursulinerinnen kam,
erkaltete ihr Eifer für die Armen nicht; für sie
sparte sie das Beste auf, was sie erhielt, und sehr
oft bat sie die Lehrerinnen um Erlaubniß, unter
1) Aus dem Leben dieser frommen Prinzessin von einer
Klosterfrau ihres Ordens, ein Buch, welches der weiblichen
Jugend nicht genug empfohlen werden kann.
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Digitalisierungsv
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
M.
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