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Geschöpfe auf, den Schöpfer zu loben und zu prei¬
sen. Wenn sie Morgens vor Sonnenaufgang ihre
Wohnung verließ, um sich in die Einsiedelei zu be¬
geben, wo sie zu beten pflegte, rief sie an der offe¬
nen Gartenthüre voll eiligen Entzückens: „O ihr
Bäume, Pflanzen und Blumen lobet den Herrn,
eueren Gott!!"
Frau von Chantal strebte mit unermüdlichem
Eifer darnach, ihren Kindern einen frommen Sinn
einzuflößen; sie fand ein fruchtbares Ackerfeld in
den jugendlichen Herzen, denn Maria-Amalie, ihre
älteste Tochter, war schon in dem Alter, wo die
Kinder gewöhnlich nur mit Spielen und kindischen
Einfällen beschäftigt sind, einer ernsten Ueberlegung
fähig, und schon damals verband sie mit ihren
täglichen Gebeten eine kurze Betrachtung. Es war
rührend, das kleine Mädchen wie einen Engel
in der Hauskapelle knien zu sehen, ganz ruhig,
nur ihre Lippen bewegend, um zuerst ihre münd¬
lichen Gebete zu verrichten, und dann eine starke
Viertelstunde lang eine Betrachtung haltend über
den von ihrer Mutter angegebenen Punkt. Viel¬
leicht findet man das zu viel für ein Kind, das
berufen war, in der Welt zu leben. Indessen war
der heil. Franz von Sales, den man gewiß der
Uebertreibung nicht anklagen kann, anderer Meinung
und schrieb an Frau von Chantal: „Was unsere
Maria-Amalie betrifft, so bedarf es, da sie voraus-
sichtlich dem Getriebe der Welt ausgesetzt sein wird,
einer hundertfältigen Sorgfalt, um sie in der wah¬
ren Tugend und Frömmigkeit zu befestigen." (Abbé
Bougaud.)
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Digitalisierungsvorlage:
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung