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Ein Glaubensbekenntnis in Anstand und Ehre haben
sie so wenig, wie in der Religion, sie halten immer
nur mit derjenigen Partei, von der ein Vorteil, wenn
auch noch so schmutzig, zu erhoffen steht. Daher er¬
scheint es ihnen auch als etwas Selbstverständliches,
daß einer als voller Ehrenmann dasteht, bloß weil er
reich ist, ohne Rücksicht darauf, wie er es geworden,
bloß weil er Geld hat, ohne Rücksicht darauf, wie er
es bekommen; der arme Schlucker hingegen wird mit
schiefem Auge angesehen und als ehrlos behandelt, bloß
weil er
nichts hat. Wenn ein solcher auch noch so
rechtschaffen ist, man läßt es ihn doch überall fühlen,
seinen Wert nach den Versen taxiert:
daß man
Aber wenn du gar nichts hast,
Mensch, dann lasse dich begraben,
Denn ein Recht zu leben, Lump,
Haben nur, die etwas haben.
Nun kann doch aber das nicht der richtige Maßstab
sein, um danach den christlichen Bürger zu bemessen.
Daher soll hier auf jene Merkmale hingewiesen werden,
die zum guten, christlichen Bürger unerläßlich sind.
Solcher Kennzeichen giebt es aber zunächst zwei: christ¬
liches Gewissen und christliches Ehrge¬
fühl. Ein christlicher Bürger muß Gewissen
haben. In einem hübschen Städtchen der Rheinpfalz
starb vor einigen Jahren ein vermögender Kaufmann,
der es bei ärmeren Leuten mit der Bezahlung nicht
allzu genau nahm und gern ein Jahr und zwei und
selbst mehr noch zuwartete, ohne daß er Zins oder
Bezugszins rechnete. Nur fragte er jedesmal, sooft es
ans Hinausborgen ging, echt kaufmännisch: „Ist der
Mann gut? hat er Kredit?" Die Frage galt ihm
aber als hinreichend beantwortet, wenn ihm versichert
wurde: der Mann hat Gewissen. Der Käufer also
brauchte dem alten Sonderling keinen andern Bürgen
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Erzbischöfliche Diöze
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