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Wie soll nun aber ein Vater dieser seiner verant¬
wortlichen Stellung nachkommen, damit unser Herrgott
mit ihm zufrieden ist? An dem Tage, wo Kaiser
Karl V. zu Gent getauft wurde, machte der Hofnarr
dem kaiserlichen Prinzen auf einer silbernen Schüssel
einen Obstkern zum Wiegengeschenke und sagte dazu
den Spruch:
Ein Samenkorn in der Erden,
Dir, Wiegenkind, ist er gleich,
Aus beiden kann noch was werden,
Die Keime ruhen in euch.
Ich will in die Erde ihn bauen,
Ein Denkmal sei er an heut,
Einst magst du kommen und schauen,
Wer besser von euch gedeiht.
Dann ging er und pflanzte den Kern sorgsam in
den Garten. Der Kern aber sproßte auf und wurde
zu einem stattlichen Baume, der immer reichliche Früchte
trug. Nicht minder aber zeigte der Kaisersohn glück¬
liches Gedeihen, er ward zum Manne, zum tapferen¬
Helden, zum mächtigen Kaiser, der gegen Ende seines
Lebens, des Herrschens müde, die Kaiserkrone, die er
nach eigenem Geständnis siebenunddreißig Jahre ge¬
tragen, ohne unter ihr auch nur eine Viertelstunde
Ruhe zu finden, niederlegte und sich in das Kloster
St. Just zurückzog, um sich zum Tode vorzubereiten.
Es hatte sich also der Glückwunsch des Hofnarren an
beiden erfüllt; man erzählt, der Kaiser habe an dem
Baume, der mit ihm aufgewachsen, eine besondere
Freude gehabt, und habe mit besonderer Vorliebe
es war ein Kirschbaum — von seinen Früchten ge¬
gessen. Nun besteht in der That ja eine Aehnlichkeit
zwischen dem Menschenkinde und einem Obstkern oder
vielmehr dem Baume, der aus ihm entkeimt und her¬
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