Beschreibung von Venedig.
II. Theil.
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Wenn die Republik durch den Tod ihres Doge ohne
sichtbares Oberhaupt ist, so kommen die auswärtigen Ge¬
sandten blos in das Kollegium, um die gewöhnliché Ge¬
remonie der Kondolenz zu machen; die Staatsgeschäfte
aber ruhen bis nach der Wahl eines neuen Doge.
Die Sizzung des vollen Kollegiums, in der alles,
was von Berichten und dergleichen eingelaufen ist, vor¬
gelesen wird, dauert täglich jedesmal zwei bis drei Stun¬
den des Morgens. Nachdem alles verlesen ist, stehet der
Doge mit seinen Räthen und den Häuptern der Quarantie
auf, und entfernen sich. Sodann nimmt die Consulta ih¬
ren Anfang, welche ordentlicher Weise aus eilf Savj, den
sechs Savj grandi, oder des Raths, und den andern fünf
Savi vom festen Lande bestehet. (Die dritte Klasse von Savj
bleibt zwar auch sizzen, muss aber den Stummen machen.)
Nun berathschlagt man sich über die vorliegenden Geschäfte
der Wochenpräsident, den jede von den zwei ersteren
Klassen der Savj hat, trägt die Sachen mit ihren Gründen
und Gegengründen vor, und sagt seine Meinung, wel¬
cher die übrigen, nach willkührlicher Erwägung, meistens
beistimmen; denn sie sind nicht gewohnt, einander durch
Widerspruch zu reizen. Ist nun die Staatsmaterie auf
solche Art zubereitet, so wird sie abermals im vollen Kol¬
legio vorgelesen, geprüft, und vor den Senat gebracht,
wo dann weiter darüber debattirt wird. Hat sich im Kol¬
legio keiner von den Savj dem Wochenpräsidenten, und
seiner Meinung widersezt, so wird sie auch selten im Se-
nate selbst Widerspruch finden. Denn der Senat hat im¬
mer ein sehr günstiges Vorurtheil für die Consulta. Ist
aber einer oder der andere in der Consulta anderer Mei¬
nung, so gibt er es sogleich zu erkennen, damit der Wo¬
chen-Savio Zeit gewinnt, sich zu Behauptung seiner Mei¬
nung auf eine öffentliche Rede zu bereiten. Jeder lüsst
dann seine Meinung von einem besondern Sekretär zu Pa¬