Dreizehntes Buch. Sitten und Gebräuche. 261
stehen bei ihm in keiner grossen Achtung. Daher einst
ein Senator, der seinen Sohn über der Geschichte von
Frankreich antraf, ihm das Buch aus den Händen riss,
und zu ihm sagte : Hallunke, lies die Sachen deiner Re¬
publik, und lass das undere unterwegens! Hingegen wer¬
den die schönen Künste desto eifriger und thätiger von
dem Adel beschüzt. Die Verstellungskunst verstehen die
Nobili ganz vortreflich. So gross auch ihr innerlicher
Haſs seyn mag, so zeigen sie doch immer ein freundliches
Angesicht, und loben denjenigen am lautesten, den sie
am heftigsten hassen. Sie sind misstrauisch gegen einan¬
der, ihr Herz ist bei einem offenen Gesichte immer ver¬
schlossen, und der Neid und die Schadenfreude verbirgt
sich hinter lauten Glükwünschen, oder den Bezeugungen
des aufjichtigsten Bedaurens und Mitleidens. So unver¬
söhnlich sie in ihrem Hasse sind, so grausam sind sie in ih¬
rer Rache. „Man muss sich niemals nur halb rächen;“
das ist ihr Hauptgrundsaz. So ausschweifend aber ihre
Rachgier seyn mag, so übertrieben ist auf der andern
Seite ihr Mitleiden oft gegen die grössten Verbrecher. Oef¬
fentliche Hinrichtungen sind daher in keiner grossen Stadt
so selten, wie hier. Dieses sind Schauspiele, welche weder
der Grosse noch der Pöbel ertragen kann.
Sie find
nicht sehr umgänglich; welches aber nicht von der Na¬
tur, sondern bloss von der eifersüchtigen Staatsverfas¬
sung herrühret. Es ist daher etwas seltenes, wenn Edel¬
Statt
leute einander in ihren Häusern Besuche geben.
dessen aber bedienen sie sich der Casini und Kaffehäuser, wo
sie einander Besuche abstatten, und frei mit einander umge¬
hen können.
Die Cafini in Venedig theilen sich in privati und pub¬
Unter den erstern verstehet man eine kleine Woh¬
lici.
nung, worinn der vornehme Venetianer seine von Ge-
schäften freie Stunden in der Einsamkeit, oder in Gesell¬