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Es ist solches eine Art heuristischer Fiction, die in der
Mechanik, bey den Beweisen gewisser Lehrsätze, ihren Nu
tzen haben kann. Allein daraus folgt keineswegs, daß
keine geradlinichte Bewegung, objectiv betrachtet, eine
wirkliche und wahre Bewegung sey. Wenn ich in gera
der Linie von einem Ort zum andern gehe; so bin ich mir
der Bewegung meiner Füße und meines Fortschreitens zu
sehr bewußt, als daß ich meine Bewegung für bloß mög
lich, und nicht für wirklich halten sollte. Eben so verhält
es sich auch mit andern Bewegungen. Wenn ich die Bil
liards=Kugel A stosse, und diese setzt die Billiards=Kugel
B in Bewegung; so wird niemand zweifeln, daß die Ku
gel B eine wirkliche Bewegung habe, obwohl die Erschei
nung eben dieselbe seyn würde, wenn die Billiards=Kugel
B (im absoluten Raum) ruhte, und das Billiard (samt
dem Hause, wo es steht,) sich nach der entgegengesetzten
Seite bewegte. Selbst wenn ich in einem Schiff gegen
Osten fahre, und das Ufer samt den Bäumen scheint sich
nach Westen zu bewegen, weiß ich doch wohl, daß die
letztere Bewegung eine Scheinbewegung, die des Schiffes
aber eine wirkliche und wahre Bewegung ist. Ich sehe
also nicht, wie Kant allgemein behaupten kann, daß die
geradlinichte Bewegung eines Körpers im empirischen Rau
me, zum Unterschied von der entgegengesetzten Bewegung
dieses Raumes, in der Erfahrung ein bloß mögliches
Prädicat des Körpers sey. Eben so wenig sehe ich
2) ein, wie Kant von der Kreisbewegung über
haupt sagen kann, daß sie, zum Unterschiede von der ent
gegengesetzten Bewegung des empirischen Raumes, ein
wirkliches Prädicat der Materie sey, da es doch, wie je
dermann weiß, Kreisbewegungen giebt, die bloße Schein¬