Full text: Layard, Austen Henry: Niniveh und seine Überreste

249 
Der eine ist noch ganz; sein Begleiter ist aber herabgefallen und in mehrere 
Stücke zerbrochen — der große Menschenkopf liegt zu unseren Füßen. 
Wir gehen weiter, ohne uns in den Theil zu wenden, zu dem das Por 
tal führt. Darüber hinaus sehen wir eine andere geflügelte Figur, die eine zierliche 
Blume in der Hand hält, die sie, wahrscheinlich als eine Opfergabe, dem ge 
flügelten Stiere darreicht. Zunächst dieser Sculptur finden wir 8 schöne Bas 
reliefs. Da ist der König auf der Jagd, wie er über den Löwen und wilden 
Stier triumphirt, und die Belagerung einer Burg mit dem Sturmbocke. Wir 
haben nun das Ende der Halle erreicht, und sehen eine ausgesucht schön ge 
arbeitete Sculptur vor uns: zwei Könige, die vor dem Eblem der höchsten 
Gottheit stehen, und von geflügelten Figuren begleitet sind; zwischen ihnen steht 
der heilige Baum. Vor diesem Basrelief befindet sich die Steinplattform, auf 
der in alten Zeiten der Thron des assyrischen Monarchen gestanden haben mag, 
wenn er gefangene Feinde oder seine Höflinge empfing. 
Zur Linken ist ein vierter Ausgang, den zwei Löwen bilden. Wir passiren 
sie, und finden uns am Rande einer tiefen Ravine, von welcher nördlich sich 
die erhabene Pyramide hoch über uns erhebt. Figuren von Gefangenen, 
tragen, sieht 
welche Tributgegenstände — Ohrringe, Armbänder und Affen — 
man an den Mauern in der Nähe dieser Ravine, und zwei ungeheure Stiere, 
so wie zwei geflügelte, über 14 Fuß hohe Figuren, liegen fast an seinem Rande. 
Da die Ravine die Ruinen an dieser Seite begränzt, so müssen wir zu 
den gelben Stieren zurückkehren. Sobald wir durch den von ihnen gebildeten 
Eingang gekommen sind, treten wir in ein von adlerköpfigen Figuren umge 
benes Gemach: an dem einen Ende befindet sich ein von zwei Priestern oder 
Gottheiten bewachtes Thor, und in der Mitte ein anderes Portal, an welchem zwei 
geflügelte Stiere stehen. Welche Richtung wir nun auch einschlagen mögen, 
so befinden wir uns in einer Menge von Zimmern, und ohne eine Bekannt 
schaft mit dem Gewirre dieses Ortes, würden wir uns bald in dem Labyrinthe 
verirren. Da der angehäufte Schutt gemeiniglich in der Mitte der Zimmer 
liegen gelassen worden ist, so besteht die ganze Ausgrabung aus einer Menge 
von engen Durchgängen, die an der einen Seite mit Alabasterplatten eingefaßt 
sind; auf der andern Seite beengt sie ein hoher Erdwall, in dem man hier 
und da eine zerbrochene Vase, oder einen mit glänzenden Farben gemalten Back 
stein halbbegraben sehen kann. Wohl ein bis zwei Stunden können wir durch 
diese Gallerien wandern, und die merkwürdigen Sculpturen oder die zahlreichen In 
schriften besehen, die uns umgeben. Hier sehen wir lange Reihen von Königen in 
Begleitung ihrer Eunuchen und Priester — dort eben so lange Reihen von 
geflügelten Figuren, welche, Fichtenzapfen und religiöse Embleme tragend, an 
scheinlich in Adoration vor dem mystischen Baume begriffen sind. Andere Eingänge, 
ebenfalls von Löwen und Stierpaaren gebildet, führen uns zu andern Zim 
mern. In jedem finden Neugier und Erstaunen neue Gegenstände. Ermüdet 
gehen wir endlich durch einen Graben, auf der entgegengesetzten Seite dessen, 
durch den wir eintraten, aus dem verschütteten Gebäude wieder heraus, und finden 
uns wieder auf der nackten Plattform. Vergeblich sehen wir uns nach Spuren 
der wunderbaren Ueberreste, die wir eben gesehen haben, um, und sind halb 
und halb geneigt zu glauben, daß wir einen Traum gehabt, oder der Erzählung 
einer orientalischen Novelle zugehört haben. 
Manche, die vielleicht später den Ort betreten werden, wenn das Gras 
wieder über die Ruinen der assyrischen Paläste gewachsen sein wird, werden 
Verdacht haben, als sei es eine Vision, was ich erzählt habe.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer