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welchem Mangel an historischer Kritik die Streitfrage über die Schuld oder Unschuld des Amerigo Vespucci bishei
behandelt worden ist. Es erhellt aus der Zusammenstellung aller Verhältnisse, dass Amerigo während seines Lebens
(1451—1512) und mehr als 15 oder 20 Jahre nach seinem Tode für einen sehr ehrenwerthen Mann gehalten worden
ist, dass er wegen seiner seemännischen Kenntnisse zu dem bedeutenden Range eines Piloto major en la nave
gacion de Indias ernannt wurde und mit den berühmtesten Seefahrern und Gelehrten seiner Zeit befreundet war.
Die öffentliche Meinung erklärte sich erst dann gegen ihn, als man ihm Entdeckungen zuzuschreiben begann, welche
ihm nicht zugehörten, ja selbst, was er nie veranlasst und wahrscheinlich nie erfahren hat, seinen Namen auf
Weltkarten gesetzt hatte oder setzen wollte. Letzteres war dreimal vorgeschlagen worden: zuerst von Hyla
comylus (Waldseemüller) in Lothringen, Verfasser der Cosmographiae Introductio 1507, bald darauf (1509) von
dem anonymen Verfasser des kleinen Buches Globus, Mundi declaratio, sive descriptio totius orbis terrarum,
gedruckt bei Grüniger zu Strassburg“); endlich (1512) in der Epistola Vadiani ab eo pene adolescente (geboren
1484 war er doch schon 28 Jahre alt) ad Rudolphum Agricolam juniorem scripta, begleitend des Vadianus
Ausgabe von Pomponius Mela de situ Orbis, die erst 1522 erschien.*) Zur wirklichen Ausführung kam aber der
Vorschlag erst auf der Weltkarte des Petrus Apianus (Biencwitz), die der Ausgabe des Camers von Sólini Polyhistoria
des Jahres 1520 angehängt ist. Auf dieser von einer Kupferplatte abgezogenen Karte ist zum ersten Male, also
acht Jahre nach dem Tode von Amerigo Vespucci, der Name Amerika gesehen worden. Der Minorite Camers (sein
eigentlicher weltlicher Name war Giovanni Rienzzi Vellini, aus Camerino in Umbrien gebürtig und Lehrer in Wien)
datirt seine Vorrede zum Solinus Viennae Pannoniæ VI. Calendas Febr. anno post Christi natalem MDXX. Apianus
(Peter Biencwitz, geb. 1495 zu Leissnig bei Meissen), gibt folgenden Titel seiner Karte, auf der zuerst der Name
Amerika in dem südlichen Theile des Neuen Kontinents eingeschrieben ist: Typus Orbis universalis juxta Ptolomei
Cosmographi Traditionem et Americi Vespucii aliorumque lustrationes a Petro Apiano Leysn. elaboratus, Anno Do.
MDXX. Der Isthmus von Panama ist auf der Karte des Apianus von einer Meerenge durchschnitten, was um so
merkwürdiger ist, als dieser, bis in die neuesten Chinesischen Weltkarten fortgepflanzte offene Isthmus sich auch auf
dem Globus von Johann Schöner findet, der dasselbe Alter hat. Dazu fügt die Karte des Apianus in der Ausgabe
des Camers ) über den am grössten geschriebenen Namen Amerika die Inschrift hinzu: Anno 1497 haec terra
cum adjacentibus insulis inventa est per Columbum Januensem ex mandato Regis Castillae.
Eine wundersame Ideenverwirrung! Der südliche Theil des Neuen Continents wird nach Vespucci Amerika
genannt und doch eingestanden, dass das Land zuerst von Columbus entdeckt worden sei und zwar in dem gemein
hin der ersten Expedition des Vespucci fälschlich ) zugeschriebenen Jahre 1497, statt 1. August 1498 in des Colum
bus dritter Reise. Derselbe Apianus schreibt aber in seinem Cosmographicus Liber Landshutii 1524 fol. 69: „Ame
rica, quae nunc quarta pars terrae dicitur, ab Americo Vespucio eiusdem inventore nomen sortita est.“ So
leichtsinnig und wechselnd wurden damals Jahrzahlen und Namen der ersten Entdecker aufgestellt. (Humboldt in
Berghaus Annalen der Erdkunde 1835 Bd. 1 Seite 211.)
Die Aehnlichkeiten, welche ich seit meinen frühesten Untersuchungen zwischen der Karte des Apianus und dem
Globus von Schöner, beide aus dem Jahr 1520, bemerkt habe, veranlassen mich nun in ein näheres Detail einzu
gehen. Die freundschaftliche Mittheilung, welche mir Herr Professor Ghillany von einer schönen und genauen
Copie der Ostküste von Südamerika vom Aequator bis zur Südspitze des Landes, wie sie der Globüs von Schöner
enthält, mit allen darauf befindlichen Namen gemacht, hat es mir erleichtert, zu erkennen, welche frühere Karte
Schöner für Südamerika benutzt hat. Ich beginne die Vergleichung mit diesem Theile des Neuen Kontinents.
*) Panzer hat mit Unrecht dieses Büchlein von 1509 dem Henricus Loritus Glareanus zugeschrieben, von dem ich eine andere Schrift
unter dem Titel: Henrici Glareani Poëtae Laureati, de Geographia liber unus, Basileae 1527, aufgefunden habe. In dem anonymen Globus,
Mundi Declaratio von 1509, der bei demselben Grüninger gedruckt ist, bei dem die zweite Ausgabe des Hylacomylus erschien, wird Columbus nie
genannt; Amerigo Vespucci auch nur einmal und zwar auf dem Titel und mit dem Beisatze: De quarta orbis terrarum parte nuper ab
Americo reperta. (Examen crit. T. IV. p. 142.) Das ganze Büchlein: Globus, Mundi Declaratio, besteht aus 13 Blättern. Man liest am
Schluss: „ex Argentina MDIX: Joannes Grüniger imprimebat. Auf der kleinen Weltkarte des Titels stehen bloss die Worte: Nüw Welt.
) In dem Briefe des Joachim Vadianus an Rudolph Agricola, aus Wien datirt 1512 und beiden Ausgaben des Pomponius Mela aus
Basel und Cölln von 1522 angehängt, wird der Name America zweimal als eine schon ganz gewöhnliche Benennung ausgesprochen und zwar in
zwei Stellen, die von den Antipoden handeln : 1. ex recentiorum autem inquisitione si Americam a Vesputio repertam et eam Eoae terrae partem,
quae terrae e Ptolemaeo cognitae adjecta est ... 2. Immo non usque adeo immensum Pelagus interesse inter extremum ab America occidens et
Oriens Ptolemaei .... Cancellieri hat irriger Weise geglaubt, dass Vadianus es gewesen sei, welcher den Namen Amerika zuerst ausgesprochen
Ilacomylus (Waldseemüller) hat es 5 Jahre früher (1507), also 1 Jahr nach dem Tode des Columbus, gethan.
**) Sonderbar genug, dass von Solinus in demselben Jahre 1520 drei Ausgaben erschienen, in Wien, in Basel und in Cölln; die ersten
beiden mit Commentar von Camers, die letzte (Coloniae apud Eucharium Cervicornum et Heronem Fuchs mense Dec. M. D. XX.) ohne Namen
des Herausgebers.
*) Man kann durch ein alibi beweisen, dass die erste Reise des Vespucci nicht am 10. oder 20. Mai 1497 habe beginnen können, da
nach sichern Documenten er von der Mitte des April 1497 bis 30. Mai 1498 in Sevilla und San Lucar war (Examen crit. T. IV. p. 268).