Wenn acht Jahre nach der Entdeckung von Amerika durch Christoph Columbus die von Juan de la Cosa
gezeichnete Weltkarte schon ein allgemeines Bild der Antillen, eines grossen Theils von Südamerika und der nördlichen
Entdeckungen der Cabote darlegte, so gehörte dieselbe Zahl von Jahren wieder dazu, um in der mit modernen Karten
Europäischer Länder bereits längst bereicherten Geographie des Ptolomäus endlich einmal Theile des Neuen Continents
auf Kupferplatten abgebildet zu sehen. Nichts davon, wie wir bereits oben bemerkt, war vorhanden in der Römischen
Ausgabe von 1507, edirt von Bernardinus de Vitalibus und dem Brescianer Evangelista. Theile des Neuen Continents,
nämlich das noch nicht ganz umschiffte und anonyme Cuba, Haiti, die kleinen Antillen und ein beträchtliches Stück
von Süd-Amerika (hier Terra Sanctae Crucis sive Mundus Novus genannt), bis 40° südlicher Breite, finden
sich zuerst in einer Weltkarte von Johannes Ruysch (Germanus), die in der Römischen Ausgabe des Ptolemäus
von 1508 erscheint. Der Text derselben ist von dem der Ausgabe von 1507 gar nicht verschieden, er ist wie
ein blosser Nachdruck, und dazu noch ein päpstliches Privilegium vom 28. Julius 1506 beigefügt. (Ueber diese
wichtige Karte von 1508 s. Walkenaer, in den Recherches géographiques sur l’Interieur de l’Afrique septen
trionalé p. 186, wie auch in der Biographie universelle, T. VI. p. 207.) Der Titel der Karte ist: Universalior
cogniti Orbis Tabula ex recentibus confecta observationibus. Von Nordamerika ist Nichts zu sehen, weil Neufundland
unter dem Namen Terra Nova und Bacalauras*) mit Grönland (Gruentland) zu dem nordöstlichen Theile von Asien
gerechnet sind, zu dem Theile, in dem man „Desertum Lob und Judaei inclusi“ unter dem Polarkreise; Gog und
Magog, Karocoam (die Mongolen-Hauptstadt Karacorum) und Tibet findet. In den Asiatischen Bergi extremis wird
angegeben, „dass der Seecompass nicht mehr weist,“ eine Vermuthung über die Lage des Magnetpols. Eine andere
Anmerkung sagt, dass die Insel Haiti (Spagnola) das goldreiche Zipangu (Sipangus) des Marco Polo sei und dass
dieser Identität wegen man Zipangu weggelassen. Der abgebildete Theil von Südamerika, Terra Sanctae Crucis,
ist gegen Westen unbegrenzt geblieben. Dort ist keine Südseeküste angegeben. Die östliche Küste hat viele
Positionen mit Namen, deren südlichste (lat. 32° und 33° austr.) Rio de St. Vincent und Rio de Cananor sind.
Wir werden weiter unten zeigen, welches Interesse sich an diese Namen, wegen des von Herrn Professor Ghillanz
beschriebenen Schöner’schen Globus von 1520, knüpft. Was man von Südamerika in der Karte von Johann Ruysch
(1508) sieht, von der ich ein Amerikanisches und Ostasiatisches Fragment im fünften Theile meines Examen critique
de la Geographie du Nouveau Continent habe stechen lassen, endet keineswegs pyramidalisch in einem spitzen Winkel.
Die von Rio de Cananor an unbenamt bis 40° südlicher Breite fortlaufende Küste ist von Norden gegen Süden ge
richtet. Sehr merkwürdig ist es, dass in dieser Ausgabe des Ptolemäus von 1508 (gedruckt von Evangelista Tosino und
bearbeitet oder vielmehr commentirt von Marcus aus Benevent und Johann Cotta) zweimal deutlichst gesagt ist: die
Portugiesen seien in ihrer Schifffahrt bis 50° südlicher Breite gekommen und hätten noch kein Ende des Landes
gefunden. „Nautae Lusitani partem hanc terrae (Sanctae Crucis) observarunt et usque ad elevationem poli antarctici
50 graduum pervenerunt, nondum tamen ad ejus finem austrinum. Terra Sanctae Crucis (setzt dieser Bemerkung
von Ruysch, die auf der Karte selbst gestochen ist, Marcus Beneventanus im 14. Capitel seiner Nova Orbis descriptio )
hinzu) decrescit (also Verschmälerung!) usque ad latitudinem 37° austr., quamque Archiploi usque ad lat. 50° austr.
navigaverint, ut ferunt; quam reliquam portionem descriptam non reperi. Dies führt bis 2° ½ nördlich
von der Magellanischen Meerenge und beweist, dass Ruysch sich entweder auf Vespucci’s Behauptung, er sei in dei
dritten Reise (1501 und 1502) vom Cap San Augustin an auf offener See bis 50° oder 52° südlicher Breite gelangt
(Ex. crit. T. IV. p. 121. und T. V. p. 20.), gründet, oder dass zwischen 1500 und 1508 heimliche Expeditionen
von den Portugiesen unternommen wurden, deren bestimmte Epochen und Anführer uns unbekannt geblieben sind
(Examen crit. T. V. p. 5 — 9.).
Wir kennen genau nur die Chronologie der Spanischen Entdeckungen an der Ostküste von Südamerika.
Nachdem Christoph Columbus den 1. August 1498 die Nordostküste der Provinz Cumana, nicht den bergigen Theil
von Paria, sondern bei Punta Redonda, nahe dem Caño Macareo) als das erste Festland von Amerika
seit den Scandinaviern entdeckt hatte, gelangten Alonzo de Hojeda (mit Juan de la Cosa und Amerigo
Vespucci) 1499 bis 3° nördlicher Breite; Vicente Yañez Pinzon im Jahr 1500 bis zum Vorgebirge San Augustin in
8° 20’ südlicher Breite und, wenige Wochen darauf, Diego de Lepe eben dahin. Dieser bemerkte, was für die
Vermuthungen über die pyramidale Gestaltung von Südamerika nicht ohne Wichtigkeit gewesen ist, dass vom Cap
San Augustin die Küste Nordost — Südwest läuft. Ohne von Vicente Yañez Pinzon und von Lepe etwas wissen
zu können, berührte, von König Emanuel von Portugal ausgesandt, um auf dem von Gama eröffneten Wege nach
Calicut zu segeln, Pedro Alvarez Cabral, wie zufällig, am 24. April 1500 die Brasilianische Küste unter 10° südlicher
*) Stockfischland, von Bacallao, dem Spanischen Namen des Stockfisches.
**) Diese Abhandlung von Marcus Benev. ist in dem Ptol. von 1508 selbst enthalten. (Exam. crit. T. II. p. 7.)
) Humboldt, Rel. hist. T. II. p. 702. Exam. crit. T. I. p. 309. Bekanntlich ist, wie schon oben bemerkt, Cabot’s Entdeckung des Fest
lands von Nordamerika an der Küste von Labrador, 24. Juni 1497, älter als die Auffindung des Festlandes von Südamerika.