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für die erste Aufgabe der jetzigen Physiologie. Lassen Sie
uns die Gründe dieser Behauptung etwas näher untersu
chen. Man hat dem psysiologischen Versuch den Vorwurf
gemacht, daß er zu den einfachen uns unbekannten und
räthselhaften Lebenserscheinungen nur andere eben so unbe
kannte hinzufüge, daß er so eine unruhige Neugierde, die
Ungeduld der Erklärungssucht mehr befriedige, als zur
Wesenheit der Erscheinung eindringe. Diese Bemerkung
scheint mir in Beziehung auf die besondere Art der experi
mentirenden Thätigkeit der Physiologen sehr richtig; sie
führt uns zu einem wesentlichen Unterschied des chemischen
und physiologischen Versuchs in Hinsicht ihrer Gültigkeit.
Wenn es nicht wahr ist, daß das physiologische Experi
ment nur die Menge der unbekannten Lebenserscheinungen
häufe, wenn es in der That Schlüsse auf den Grund der
selben erlaubt, so kann dieß begreiflich nur dadurch ge
schehen, daß wir aus der uns bekannten Natur der Be
dingungen, die wir im Versuch der lebendigen Einzelheit
setzen, auf die Natur ihrer Resultate, ihrer Producte in dem
lebenden Körper schließen. Dieses kann der einzige Grund
seyn, warum wir physiologische Versuche unternehmen.
Dann auch hat der Versuch, wenn er überhaupt gültig ist,
vor der Beobachtung den Vorzug, daß er zu allen Zeiten,
unter denselben Bedingungen angestellt, dasselbe Resultat
giebt. Wenn nun aber, was aus dem Conflict der äußeren
Bedingungen und des lebenden Körpers hervorgeht, nim
mer Producte der Bedingungen und des Lebens selbst
wären, so daß in demselben als einem dritten, die uns
ihrer Natur nach schon bekannten Bedingungen nicht enthal
ten wären, wenn vielmehr alle Wirkungen äußerer im Ver
such gesetzter Bedingungen nur Educte des lebendi
gen Organismus hervorriefen, dann wäre der vorausge
setzte Bezug der bekannten Bedingungen auf die unbekann
ten Erscheinungen nicht; und es wäre allerdings wahr,