Full text: Vitruvius: Des Vitruvius Zehn Bücher über Architektur

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Kräften der Speise die Nahrung an sich zieht, und je stärker sie gegen 
die Geburtsreife hin wird, desto weniger den Körper, aus welchem 
sie selbst geboren wird, im strammen Zustande läßt. Nach der Ent¬ 
bindung nun zieht er, nachdem das, was vorher für ein anderes Wachs¬ 
thum entzogen wurde, durch die Lostrennung der Geburt wieder frei 
geworden ist, den Saft durch die leere und offene Porosität des Kör¬ 
pers saugend wieder an sich, wird so wieder stramm und kehrt zu 
seiner früheren natürlichen Festigkeit zurück. 2. Aus demselben 
Grunde erholen sich die Bäume, wenn in der Herbstzeit nach der 
Reife der Früchte das Laub welkt, aus der Erde durch die Wurzeln 
den Saft in sich aufnehmend, wieder und werden zu ihrer alten Festig¬ 
keit hergestellt. Anderseits aber zieht sie die Kraft der Winterluft 
während der oben beschriebenen Zeit zusammen und festigt sie. Wenn 
man also aus dem Grunde um die oben angegebene Zeit das Bau¬ 
holz fällt, so wird es rechtzeitig gefällt sein. 
3. Man muß es aber so fällen, daß man in die Dicke des 
Baumes bis mitten in den Kern einschneide und ihn dann stehen lasse, 
damit der Saft dadurch tropfenweise heraustrockne. Wenn nun so 
die unnütze Flüssigkeit, die sich im Innern befindet, durch den Splint 
abfließt, muß nicht der Saft in demselben absterben und die Eigen¬ 
schaft des Bauholzes verderben. Dann aber, wenn der Baum trocken 
ist und nicht mehr tropft, dann soll er vollends gefällt werden, und 
wird so am besten für den Gebrauch sein. 4. Daß dieß sich so ver¬ 
hält, kann man auch an den Baumpflanzungen beobachten; denn 
wenn die Bäume derselben jeder zu seiner Zeit durch Einbohren bis 
in das Innerste geschnitten werden, lassen sie die überflüssige und 
schädliche Flüssigkeit, welche sie in sich haben, durch die Bohrlöcher 
ausfließen, und so trocknend erlangen sie lange Dauer. Die Feuch¬ 
tigkeit aber, welche keinen Ausweg aus den Bäumen hat, geräth, sich 
verdichtend, innerhalb in Fäulniß und macht sie hohl und schadhaft. 
Wenn also die stehenden und grünen Bäume durch das Austrocknen 
nicht absterben, so werden sie ohne Zweifel, wenn sie zu Bauholz 
gefällt werden, nachdem sie auf diese Weise behandelt worden sind, 
bei Gebäuden bis zu hohem Alter großen Nutzen gewähren können. 
*) Die rings umlaufende weichere Holzschicht zwischen dem Kern und der 
Rinde.
	        
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