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das an diesen Plätzen hervorquellende Wasser und die dort wachsen¬
den Feldfrüchte krankheiterzeugend sein würden; und so wanderten sie
fort in andere Landstriche, in allen Dingen auf Gesundheit Bedacht
nehmend.
10. Daß es aber wirklich der Fall ist, daß im Futter und in
den Feldfrüchten die heilbringenden Eigenthümlichkeiten eines Land¬
striches liegen, das kann man beobachten und erkennen aus denjenigen
Gefilden der Cretenser, welche sich zu beiden Seiten des Pothereus*)
eines Flusses, der sich in Creta zwischen den zwei Städten Gnosos
und Gortyna befindet, hinziehen, denn zur Rechten und zur Linken
weiden Schafe; davon haben aber diejenigen, welche zunächst an
Gnosos weiden, eine Milz, diejenigen dagegen, welche auf der andern
Seite zunächst an Gortyna weiden, haben keine sichtbare Milz.
In der That haben auch die Aerzte, darüber nachforschend, in dieser
Gegend ein Kraut gefunden, welches dem Vieh, das es abgräfete,
die Milz verkleinert hatte; und nun heilen sie, dieses Kraut sam¬
melnd, die Milzsüchtigen mit diesem Heilmittel, das die Cretenser
auch Asoplenon (das Milzlose) nennen. Daraus kann man ersehen,
wie in Feldfrüchten und Wasser die von Natur aus schädlichen oder
gesunden Eigenschaften der Orte liegen.
11. Wenn ferner die Stadtmauern in Sümpfen, welche längs
des Meeres liegen, angelegt worden und gegen Norden oder zwischen
Norden und Osten gerichtet sind, und jene Sümpfe höher liegen, als
die Meeresküste, so scheinen sie mit Ueberlegung angelegt. Denn
durch Ziehung von Gräben wird der Wasserabfluß an die Küste be¬
werkstelligt und anderseits, wenn die See in Stürmen hoch geht, wird
durch den Wogenandrang die Brandung in die Sümpfe getrieben
und verhindert durch seine bittere Beimischung nicht blos, daß dort
Sumpfthiere entstehen, sondern tödtet auch die, welche von höher¬
1) Ptolemäus (III. 17) nennt den zwischen Gnosos und Gortyna strömen¬
den Fluß Katarrhaktos, und obwohl auch dieser Name kein Eigenname zu sein
scheint, so dürfte der Fluß doch mit dem von Vitruv bezeichneten identisch sein.
Ob aber Pothereus, oder nach Marini Poterrheus durch Mißverständniß un¬
seres Autors oder der Abschreiber aus dem von Ptolemäus beigebrachten Na¬
men entstanden sei, oder ob der vitruvische Name wirklich dem Flusse beigelegt
war, ist nicht zu entscheiden, an den Lethäos aber, welcher nach Strabo (X.
p. 478) Gortyna durchfloß, ist nicht zu denken.