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denn wenn seine Fläche durchaus wagrecht gearbeitet würde, so wird
er dem Auge muldenförmig vertieft erscheinen. Wie aber dieser er¬
hielt man die richtige für entdeckt, als F. C. Penrose in seinem Aufsehen
machenden Werke An Investigation of the principles of Athenian Architecture.
Lond. 1851. die Theorie der Curvatur der Horizontallinien nach den von ihm
sorgfältig vermessenen athenischen Hauptmonumenten entwickelte. Denn wenn
Stylobat, wie Gebälk, nicht in einer geraden Horizontalen gestreckt war, son¬
dern in der Mitte sich leise nach oben krümmte, so verstand sich von selbst,
daß es eines Mediums bedurfte, welches den senkrechten, oder sich einwärts
neigenden Stand der Säulen mit der Curve der Grundlage und der Decke ver¬
mittelte, und der Schluß war naheliegend, daß diese Vermittelung sowohl unter
den Basen, als über den Capitälen durch eingeschobene Plättchen, welche den
Uebergang von der Curve zur unteren Basen- und oberen Capitälfläche bildeten,
vollzogen worden sei. Diese Mittelglieder mußten dann impares, d. h. von
ungleicher Stärke sein, um nicht blos die lothrechte, sondern sogar die einwärts
geneigte Stellung der Säule zu ermöglichen. Dieß Alles schien so zusammen¬
zustimmen und auf Vitruvs Angaben zu passen, daß man sich bereits fast allge¬
mein zu dieser Auffassung bekannte, als C. Bötticher mit seinen Untersuchungen
auf der Akropolis von Athen im Frühjahr 1862 (Berl. 1863) die ganze Theorie
wieder zertrümmerte, nämlich durch den Nachweis, daß jene Curvatur keine
ursprünglich intendirte gewesen sei, sondern daß sie nur aus einer nicht ge¬
wollten und nicht berechneten Compression des pixäischen Gesteins des Stereo¬
bats hervorgehen konnte. — Wenn aber auch Stylobat und Gebälk genau hori¬
zontal angelegt wurden, bedurfte es jenes Mediums doch, da ihm die Säulen
des Pteroma nicht senkrecht entsprachen, sondern nach innen geneigt waren,
wenigstens die Ecksäulen und die Säulen der Langseite. Diese Abweichung von
den Lothrechten erforderte eine ungleich starke Zwischenlage, nicht blos unter
der Base, um den Säulenkörper in die geneigte Lage zu bringen, sondern auch
oberhalb dem Capitäle, um dem Gebälke auf der geneigten Capitälfläche doch
wieder ein horizontales Auflager zu geben.
Die Praxis nun gibt, so viel bis jetzt bekannt, keinen Beleg für die von
Vitruv gegebene Vorschrift der scamilli impares. Jedenfalls soll er auch nicht
so fast an dorischen Gebäuden gesucht werden, als an ionischen, welchen allein
Vitruv diese Eigenthümlichkeit zuschreibt. Der Parthenon zeigt ein anderes
Auskunfsmittel für die scamilli: die unteren Säulentrommeln sind nämlich am
unteren Ende nicht im rechten Winkel mit dem Säulendurchmesser geschnitten
und bilden da keine vollkommene Kreisfläche, sondern wegen des schrägen Ab¬
schnitts, mathematisch genommen, eine Ellipse. Daraus ergibt sich, daß die
unteren Säulentrommeln auch keine vollkommenen Cylinder sind, da die untere
Fläche mit der oberen nicht parallel, und da die äußere Seite höher ist, als
die innere, und daß dadurch die folgenden Säulencylinder weder lothrecht, noch
in ihren Kreisflächen horizontal stehen, mithin die ganze Säule aus der loth¬
rechten Stellung kömmt, welches Verhältniß sich dann auf Gebälk und Giebel