Full text: Zweyter Band (2)

M. VITRUVIUS P. BAUKUNST. 
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Theile getheilt werde. *) Wenn ich diess unterlasse, so geschieht es 
nicht aus Trägheit, sondern lediglich aus Besorgnifs durch allzu grosse 
Weitläuftigkeit zu missfallen. 
r) Die alten Völker hatten anfänglich nur natürliche Stunden, wenn ich so 
sagen darf; d. i. sie theilten den natürlichen Tag, im Sommer, wie im Winter, 
in zwölf gleiche Theile ab. Die Abtheilung des bürgerlichen Tags in vier und 
zwanzig gleiche Stunden, welcher wir noch folgen, war ihnen nicht gänzlich unbe¬ 
kannt; und sie nannten dieselben Aquinoctialstunden, weil Tag und Nacht, zu 
den Zeiten der Aquinoctien, vollkommen gleich sind: folglich jedes zwölf gleiche Stun¬ 
den hat, die zusammen die Summe von vier und zwanzig ausmachen. Es giebt auch 
noch alte Kalender, woraus dieses sehr deutlich erhellet. Im gemeinen Leben richtete 
man sich aber doch nicht nach dieser, sondern nach der ersten Abtheilung. Jeder Tag, 
jede Nacht, sie mochten lang oder kurz seyn, hatte zwölf Stunden; und diese wurden 
länger oder kürzer, nachdem der Tag und die Nacht zu- und abnahmen. Folglich 
waren die Tagesstunden im Sommer länger, und im Winter kürzer, als die Nacht 
stunden. Auf diese verschiedene Länge der Tagesstunden zielen Römische Schrift¬ 
steller nicht selten: und wir werden sie niemals richtig auslegen, wenn wir sie nach 
unsrer gegenwärtigen Verfassung verstehen. Und solche veränderliche Länge der 
Tagesstunden musste der Meister einer Sonnenuhr nie aus den Augen lassen: er 
musste sie so einrichten, dass ihr Zeiger, jeden Tag im Jahre, die zwölf längern oder 
kürzeren Stunden, unveränderlich und gleich richtig andeutete, wie sie bey der Verän¬ 
derlichkeit des Schattens nothwendig seyn mussten. Denn, wenn der Schatten des 
Gnomons, oder Zeigers, so lang ist, dass er auf dem Aquator gleichsam einhergeht, 
welches in den Aquinoctien geschieht, wo die Sonne, im Frühling, ins Zeichen des Wid¬ 
ders, und im Herbst, ins Zeichen der Wage tritt: so macht er die zwölf Stunden 
des Tags den zwölf Nachtstunden vollkommen gleich. Im Winter, wann die Sonne in 
einer schiefern Richtung gegen uns steht, fällt der Schatten innerhalb des Bogens, wel¬ 
cher den Aquator vorstellt, und also in den Raum zwischen dem Aquator und Win¬ 
terwendekreis, in welchem die schon kleinen Bogen zwischen den Stundenlinien, 
nach dem Verhältnisse ihrer -Entfernung von dem Aquator, immer kleiner werden. 
Weil nun der Schatten des Zeigers, so wie sich die Sonne selbst vom Aquator entfernt, 
auch desto kleinere Bogen zwischen den Stundenlinien durchlaufen darf: So müssen 
nothwendig die Tagesstunden ebenfalls immer kürzer werden, bis zuletzt der Schatten 
auf den Bogen des Winterwendekreises selbst fällt; und folglich muss mehr Zeit unter 
die zwölf Nachtstunden zu vertheilen übrig seyn; und diese müssen desswegen länger,
	        
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